Die Arbeitslosenzahlen in Deutschland sind gesunken. Es waren schon lange nicht mehr so viele Menschen wie heute beschäftigt. Doch viel wichtiger als die Arbeitslosenquote ist die Einkommensentwicklung – mit direkter Relevanz für das produzierende Gewerbe – so auch für Druckereien.

Die Arbeitslosenzahlen im digitalen Zeitalter sind doch gesunken – die deutsche Wirtschaft agil“, wird häufig argumentiert. Das ist jedoch nicht die ganze Wahrheit, was quasi sämtliche Branchen in Form der Konsumschwäche in den vergangenen Jahren zu spüren bekommen haben. Allein im Jahr 2016 gab es nur in der Druckbranche einen Verlust von mehr als 3.400 meist gut bezahlten Arbeitsplätzen und von rund 260 Unternehmen.

Offizielle Arbeitslosenstatistik

Die Arbeitsagentur verkündet die tatsächliche Quote zwar nicht offiziell, sondern beschränkt sich für die auflagenstärksten Medien auf optimierte Statistiken und Zahlen, nach amerikanischem Vorbild, denn schließlich sind positive Zahlen optimale Steuerungsinstrumente – auch Regierungen verstehen es mittlerweile perfekt, sich zu vermarkten. Mit jeder weiteren Optimierung vernebelt sich der Blick auf die tatsächlichen Zahlen. Faktisch sind solch halbwahre Angaben für die konkrete Einschätzung der Wirtschaftslage zunehmend unbrauchbar.

Die tatsächliche Arbeitslosenquote rangiert bei circa acht Prozent, nicht bei etwa 6,2, der optimierten offiziellen Quote. Angesichts von Millionen Jobs, deren Bezahlung kaum oder gerade zum (Über-)Leben ausreicht, sind zwei oder drei Prozent mehr oder weniger offizielle Quote jedoch noch nicht einmal so entscheidend.

3,5 Millionen tatsächlich Arbeitslose

Es gibt rund 31 Millionen Beschäftigte, circa 43 Millionen Gesamterwerbstätige in Deutschland. Je nach Statistik variieren die Zahlen etwas. Experten rechnen vor, warum tatsächlich viel mehr Menschen auf staatliche Zuwendung angewiesen sind, als offiziell verkündet:

Nicht berücksichtigt sind circa eine Million Arbeitslose
(Stand Mai 2017):

  • Circa 165.000 Ältere als 58.
  • Zu den nicht offiziell aufgeführten ALG-I- oder ALG-II-Beziehern zählen auch 85.000 Ein-Euro-Jobber (Arbeitsgelegenheiten),
  • aktuell rund 7.000 Förderungen von Arbeitsverhältnissen,
  • circa 257.000 Fremdförderungen,
  • Bundesprogramm Soziale Teilhabe am Arbeitsmarkt: circa 12.000,
  • circa 170.000 berufliche Weiterbildungen,
  • circa 233.000 Aktivierungen und berufliche Eingliederung (beispielsweise Vermittlung durch Dritte) und
  • zudem rund 2.500 Beschäftigungszuschüsse für schwer vermittelbare Arbeitslose.
  • Hinzukommen noch circa 72.000 kranke Arbeitslose, die von der Bundesagentur für Arbeit ebenfalls nicht in die offizielle Arbeitslosenzahl eingerechnet werden.

(Quelle: Bundesagentur für Arbeit: Arbeits- und Ausbildungsmarkt in Deutschland. Monatsbericht Mai 2017, Seite 72.)

Die im Bericht genannten Gründungszuschüsse sowie Altersteilzeit und sonstige geförderte Selbstständigkeit haben wir in der Tabelle nicht berücksichtigt. Zudem sind circa 300.000 Nichtbeschäftigte, aber Bezugsberechtigte zu berücksichtigen, die auf ihre Leistungen „freiwillig“ verzichten.

In Summe gut 1.000.000 zusätzliche Menschen, die ALG I oder II beziehen bzw. arbeitslos sind, demnach mindestens 3,5 Millionen.

Die Binnenkonjunktur schwächelt weniger durch Arbeitslosigkeit, als durch sinkende Reallöhne.

Zusätzlich 3,5 Millionen Arme
trotz Arbeit (Summe: 7,0 Millionen)

Die Arbeitslosenzahlen sind in den letzten Jahren real gesunken, jedoch mit entsprechenden Folgen. Denn parallel sind auch die Arbeitseinkommen gesunken, mit großer Relevanz für die Binnenkonjunktur. Was nützt eine halbwegs gute Quote, wenn Millionen Konsumenten dennoch nur das Nötigste bezahlen können und für vernünftigen Konsum das Geld fehlt?

Als „niedrig“ gilt ein Bruttolohn, wenn eine Vollzeitbeschäftigung nicht oder gerade ausreicht, um die Existenz (Grundversorgung) des Arbeitnehmers zu sichern.

Geschätzte 3,1 Millionen von rund 5,5 Millionen Niedriglöhnern kommen trotz Beschäftigung mit ihrem Lohn nicht aus. Diese Gruppe lebt entlang der Armutsschwelle. Ihre Zahl ist seit 2008 um 25 Prozent angestiegen, so der Sozialverband VdK Deutschland e.V. Schätzungen gehen davon aus, dass sich diese Zahl bis heute mindestens nochmals um circa zehn Prozent, auf wenigstens 3,5 Millionen erhöht hat. Ein Trend auch für die kommenden Jahre.

3,3 von 6,0 Millionen Cloudworkern
(Summe: 10,3 Millionen)

Zu diesen circa 7,0 Millionen schlecht oder gar nicht Beschäftigten kommen gut 50 Prozent von geschätzt sechs Millionen Cloudworkern und Kleinstunternehmern, die ihre Dienste für nicht selten unter dem Mindestlohn am digitalen (von Szenies so bezeichneten) Jobber-Strich im Internet anbieten, häufig gerade einmal 4 bis 5 Euro/Stunde verdienen. Designer, Programmierer, Telefonisten, Texter und sonstige Kleinstunternehmer, auch aus der so gepriesenen Share Economy, wie Paket- oder Taxifahrer, „Spediteure“ und so weiter.

Der digitale Arbeitsmarkt ist so gut wie kaum reguliert. Cloudworker verdienen häufig deutlich unter Mindestlohn und sind auf Hilfe angewiesen.

Sie treten gegen die an, die (noch) in sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen arbeiten. Schätzungen gehen davon aus, dass mindestens weitere 3,3 Millionen dieser Erwerbstätigen zwar nicht im Sinne der aktuellen Definition per se arm sind, teils aber deutlich unter dem Mindestlohn tätig – trotz „Überstunden“ also nahe der Armutsgrenze. Sie gefährden reguläre Beschäftigungsverhältnisse und drücken Löhne weiter in die Tiefe.

Arbeitsverhältnisse, die sich durch die digitale Transformation (begünstigt durch das derzeitige neoliberale Wirtschaftsverständnis) entwickelt haben, sind immer noch weitestgehend unreguliert. Einer der Gründe, warum selbst Frankreich derzeit kaum im Wettbewerb gegen die Deutsche Wirtschaft bestehen kann, weil hierzulande die Löhne auf breiter Front real gesunken sind.

So ist am Ende gerade die Wirtschaftsnation besonders erfolgreich, der es gelingt, gemeinsam mit Vertretern der jeweiligen Wirtschaften möglichst geringe Löhne gesellschaftlich durchzusetzen.

5,3 Millionen Mindestlöhner
(Summe: 15,6 Millionen)

Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, die ihrerseits in Nähe oder direkt in Höhe des Mindestlohnes verdienen, wird aktuell auf mindestens fünf Millionen geschätzt. In Ostdeutschland ist die prozentuale Quote vom Mindestlohn betroffener Beschäftigter gesehen auf die Zahl der Gesamtbeschäftigten fast doppelt so hoch.

Deutschland rangiert beim Mindestlohn im EU-Vergleich im Mittelfeld. Noch geringere Mindestlöhne in Osteuropa schaden auch Unternehmen der Medienbranche, denn die europäischen Nachbarn können durch teils erheblich niedrigere Löhne bessere Verkaufspreise auch in Deutschland durchsetzen.

Mindestlöhne in der EU angleichen

Das WSI-Institut (Hans-Böckler-Stiftung) hat dazu diverse Zahlen vorgelegt und fordert, die teils enormen Differenzen der Mindestlöhne einzelner EU-Staaten deutlich zu reduzieren. Nach Vorstellung der Experten sollten die Mindestlöhne EU-weit angehoben und angeglichen werden – eine Maßnahme, die zudem gegen Deflation wirken würde, so die Begründung vom WSI.

Obgleich Unternehmen europaweit damit höhere Lohnkosten zu tragen hätten, beträfe dies sämtliche Unternehmen im gleichen Umfang. Im europäischen Wettbewerb würden somit keine Nachteile entstehen. Solide Löhne würden sich sehr wahrscheinlich stabilisierend auf die Binnenkonjunktur auswirken. Unternehmen würden höhere Personalkosten sodann über nicht gänzlich proportional höhere Verkaufspreise abfangen, die Kaufkraft der Volkswirtschaften würde sich normalisieren – die Preise stabilisieren, so die Idee vom WSI.

Armut in Deutschland

15,6 Millionen „Beschäftigte“
vom Konsum abgehängt

Tatsächliche Arbeitslose, Beschäftigte, die ihren Lebensunterhalt nicht bestreiten können, teils bezuschusste Geringverdiener (Cloudworker, Kleinstunternehmer) sowie Mindestlöhner addiert, können heute fast 16 Millionen „Beschäftigte“ oder Beschäftigungsfähige keinen wesentlichen Beitrag für die Binnenkonjunktur leisten und/oder belasten die öffentlichen Kassen. Annähernd 40 Prozent aller Erwerbstätigen – Tendenz, der zu erwartenden weiteren negativen Arbeitsmarktentwicklung durch Rationalisierung, Digitalisierung und Automation folgend, kontinuierlich steigend. Diese Quote hat sich von circa 21 Prozent in den 90er-Jahren bis heute auf fast 40 Prozent beinahe verdoppelt.

Experten rechnen damit, dass bis 2025 noch einmal ein solcher Schub zu erwarten ist. Weitere circa 6 bis 8 Millionen „Beschäftigte“ am Rande oder unterhalb des Existenzminimums. Nicht nur in der Druck- und Medienbranche werden in den kommenden 10 bis 15 Jahren nochmals möglicherweise bis zu 80.000 Stellen wegfallen. In vergleichbaren Proportionen auch in anderen Branchen.

Win-Win-Win durch
arbeitsintensive Nischenprodukte

Man könnte dieser wenig erfreulichen Faktenlage entgegnen, dass es selbst denen bei uns noch relativ gut geht, die ganz oder teilweise auf staatliche Zuschüsse angewiesen sind. In diesem Beitrag geht es aber vielmehr um die Frage, wie sich das veränderte Umfeld auf die Wirtschaft und den Absatz auswirkt.

Auch geht es darum, über alternative Trends nachzudenken, die mit einer wesentlich besseren Arbeitsplatzbilanz daherkommen, denken wir nur an Handmade-Produkte, die es auch in der Druck- und Medienbranche gibt, made by homo sapiens sozusagen: Beispielsweise bei veredelten oder besonders komplexen Prints, die aus der Manufaktur kommen.

Ein weiteres klassisches Beispiel für Produkte „made by homo sapiens“ liefert das Portal DaWanda. Auch hier wird der Unterschied zwischen echter Handarbeit und Mass-Customization deutlich. Individuelle Massenproduktion kann und wird künftig nur als sehr bedingtes Imitat von echter Handarbeit bzw. Individualität von Produkten funktionieren.

Eine Win-Win-Win-Situation, denn

  • die Printbuyer profitieren durch teils signifikant bessere Responsequoten (weg von unsichtbaren Massenmedien),
  • Beschäftigte profitieren durch gute Jobs und
  • der Arbeitsmarkt bleibt vital.

Nur verschoben ist
nicht aufgehoben

Die konkrete Folge einer neoliberalen Form des Wirtschaftens, gepaart mit der Digitalisierung im Umfeld der Industrie 4.0, sind seit Jahren fallende Preise und das paradoxerweise, obgleich die EZB jeden Monat annähernd 80 Milliarden Euro investiert, damit die europäischen Märkte agil bleiben.

Fallende Preise erfordern rationellere Produktionen, die wiederum Arbeitsplätze oder faire Löhne kosten. Die vom früheren ifo-Präsidenten Hans-Werner Sinn so bezeichnete Deflationsspirale könnte damit tatsächlich richtig Fahrt aufnehmen.

Diese Fakten zeigen, wie wichtig es ist, diese Entwicklung für Geschäftsstrategien zu berücksichtigen – zu erkennen, wie Ursache und Wirkung hier unmittelbar interagieren.

Diese Umstände und weitere Trends haben unmittelbare Auswirkungen auf den täglichen Geschäftsalltag und müssen bei langjährigen Strategieplanungen definitiv berücksichtigt werden. Theoretisch sind Fakten wie die Produktivität von Maschinen oder von Software wichtig. Praktisch hängt die Auslastung jedoch nicht an der Fantasie fantastischer Umsatzprognosen der Wirtschaft, sondern maßgeblich an der voraussichtlichen Kaufkraft und Arbeitsmarktlage in den jeweiligen Zielmärkten.

Ansonsten kann eine Maschine zwar theoretisch eine maximale Produktionsleistung erbringen – praktisch hängt dies allerdings an der tatsächlichen Vitalität der Märkte und zwar mittelfristig ohne die 80 Milliarden, die von Seiten der EZB derzeit monatlich in konkursreife Unternehmen und Banken investiert werden, damit das europäische Wirtschaftsmodell nicht in sich zusammenfällt. Diese Vitalität und auch die damit korrelierenden Arbeitsmarktdaten sind angesichts teils bis zur Unkenntlichkeit optimierter Statistikdaten für Mittelständler kaum noch realistisch einzuschätzen.

2/3-Gesellschaft
auf dem Kopf

Die als gesellschaftliches Problem seit langer Zeit schon befürchtete 2/3-Gesellschaft steht in zehn, 15 Jahren auf dem Kopf.

Kaum mehr als 1/3 der Beschäftigten befindet sich sodann voraussichtlich noch in einem gut bis moderat bezahlten Arbeitsverhältnis und nimmt am sozialen und politischen Leben teil. Bis zu 2/3 der Gesellschaft wird ökonomisch mehr oder weniger abseits stehen. Auch ist der Bundesregierung bekannt, dass wir ab 2030 eine Altersarmut von bis zu 50 Prozent zu bewältigen haben – eine direkte Folge niedriger Löhne und der Nullzinspolitik, die Alterssparern das Wasser abgräbt. Auch das hat direkten Einfluss auf die Kaufkraft und somit unmittelbar auch für die Kreativ-, Medien- und Druckbranche.

Verwahrloste Einkaufsmeile. Schwindende Kaufkraft

Alt-Marzahn: verwahrloste Einkaufsmeile im Umfeld sozial schwacher Milieus. Bildnachweis: Robert Agthe, flickr.

Definition von Wettbewerbsfähigkeit korreliert
mit Reduzierung von menschlicher Arbeitskraft

Unübersehbar, wie stark sich das Umfeld in nur zehn, 15 Jahren verändert hat. Wer das hat kommen sehen, ist heute klar im Vorteil. Vielen blieb gar keine andere Möglichkeit, als durch Rationalisierungen auf diese Entwicklung zu reagieren, um Kosten zugunsten besserer Verkaufspreise zu senken. Als Folge daraus wurden Mitarbeiter entlassen, was die Absatzmärkte laufend weiter schwächt, mit der Folge weiterer Rationalisierungen. Ein Prozess, der im Grunde als „Wettbewerbsfähigkeit“ bezeichnet wird.

Die Krise als Chance

Die Zahl der Unternehmer, denen ernsthafte Zweifel an dem vorherrschenden neoliberalen Wirtschaftssystem kommen, wächst derzeit spürbar, denn trotz der massiven Intervention durch die EZB gelingt es nur noch in Maßen, die Märkte im Lot zu halten. Aus dieser faktisch realen Situation, die jeder genau kennt, der sie meint für seine Geschäftsstrategie kennen zu müssen, entsteht eine interessante Gegenbewegung – wirtschaftlich maßvoll, fair und nachhaltig.

Besonders echte Handarbeit und hochwertige Produkte liegen im Trend – im Gegensatz zu Produkten, die nur scheinbar individuell, tatsächlich aber rationalisiert und automatisiert bis ins Detail meistens vollautomatisiert und ohne bzw. nur mit mäßig bezahlter Beschäftigung produziert werden (Mass Customization).