Ein Break-Point in der Menschheits- und Wirtschaftshistorie

von | 2020, September | Politik

Bild von artistlike auf Pixabay
Die vier bisherigen industriellen Revolutionen hatten gewaltige Veränderungen im Gepäck, die die Menschheitsgeschichte maßgeblich veränderten – immer auch mit direkten Auswirkungen auf jeden einzelnen Erdenbürger.

Wir sind inmitten einer noch eher primitiven Stufe der Digitalisierung, die erst allmählich Bereiche wie Neuronal Computing (Elon Musk stellte jüngst einen Chip „Neuralink“ als Implantat fürs Gehirn vor) oder künstlicher Intelligenz (Quantencomputer mir 100 Millionen Mal schnellerer Rechenleistung) erobert. Doch bereits jetzt, in dieser digitalen Frühzeit, werden uns zwei Tatsachen bewusst:

  • Erstens, dass die Welt globalisiert ist: Insbesondere getriggert durch die Digitalisierung, mit der eine zunehmende Bedeutungslosigkeit von Territorien, ja selbst Staaten einhergeht.
  • Zweitens, dass es ein „weiter so“ nicht mehr geben wird. Viele kapitalistische Volkswirtschaften waren schon vor der Coronakrise fertig. Überproduktionen waren in vielen Branchen an der Tagesordnung. Auch die Geldschwemmen vieler Nationalbanken sowie ein völlig entfesselter, annähernd kannibalistischer Neoliberalismus waren und sind Zeugnis eines Kapitalismus in seinem Endstadium, ungeachtet der Coronakrise.

Sind wir Zeugen eines Resets?

Dass die Welt von morgen nie wieder so sein wird, wie wir sie gerade jetzt noch kannten, ist mittlerweile allen bewusst. Allerdings sind die Folgen bisher nur als Silhouette erkennbar: Die Coronakrise stärkt Staaten und Institutionen und schwächt die Auswüchse des neoliberalen Kapitalismus ab – so jedenfalls die Hoffnung vieler. Und, dass die Billionen Fördergelder und Zuschüsse zuallererst für nachhaltige Entwicklungen investiert werden, primär an Unternehmen, die dahingehend zukunftsfähig sind.

Planwirtschaft und diffuses Wirrwarr

Jedenfalls sorgt die Flut von Fördergeldern und Zuschüssen für immer mehr Abhängigkeiten seitens der Unternehmen, denn Staaten regulieren, verbieten und orchestrieren in einer Weise, die in dieser Form bisher nur in klassischen Planwirtschaften üblich war – und das in atemberaubendem Tempo.

Die konkreten Ziele sind aber noch unklar. Die globale Gemengelage ist diffus. Da gibt es diesen „Ost gegen West“-Konflikt, denken wir an Huawei (Android-Konflikt), an TikTok, 5G, den chinesischen Chip-Giganten SMIC, den die USA auf die Blacklist setzen wollen und so weiter:

Der digitale Weltkrieg ist längst entfacht.

Daneben verschmelzen politische Institutionen immer weiter mit Interessen der Wirtschaft – zu erkennen am Beispiel WHO, wo Bill Gates schon vor dem Austritt der USA einen Anteil von zehn Prozent hielt und natürlich seine Interessen dort durchsetzen will. Das ist legitim aber gefährlich zugleich.

Lobbyisten und NGOs sind ebenfalls ein wesentlicher Machtfaktor im globalen Dorf Erde, die wiederum oft nennenswert durch die Wirtschaft finanziert werden. Das trifft mittlerweile auch auf weite Teile der Medien zu. Zudem kooperieren die großen Digitalriesen (GAFA: Google, Amazon, Facebook, Apple) längst schon mit Geheimdiensten und/oder Regierungen und gewähren weitreichende Zugänge auf Kommunikations- und Cloud-Daten von uns allen.

Deep State?

Keine Sorge, ich zitiere jetzt keine Verschwörungstheorien. Doch tatsächlich hat sich eine Koalition zwischen der globalisierten Industrie und einigen Staaten gebildet – eine globale Instanz, quasi sowas wie ein Schattenparlament, eine Ebene oberhalb der offiziellen Parlamente, verbunden durch zahllose, international miteinander verwobene und verlinkte Organisationen, die nicht geheim sind, sondern ganz offiziell auftreten. Das ist generell nicht illegal und auch keine Verschwörung. Sehr wohl aber eine undurchsichtige Gemengelage.

Lobbyismus, Globalisierung oder neuerdings eben auch diese zunehmende Planwirtschaft sind deshalb keine generellen Schimpfwörter, aber wohl auch nicht vollkommen ungefährlich.

Es ist unvorstellbar komplex.

Vielleicht müssen wir einmal mehr nach China blicken, um eine Idee davon zu bekommen, wohin sich „der Westen“ gerade bewegt. Dort sehen wir irgendwas zwischen sozialistischer Marktwirtschaft und eher noch: plutokratischer Planwirtschaft. Auch bei uns fühlt es sich schon seit geraumer Zeit so an, als würde uns die Industrie unsere Parlamente quasi stiften, um mit uns Bürgern im Dialog zu bleiben.
Dass die, die gewählt sind, nichts entscheiden können und die, die entscheiden, nicht gewählt wurden, hat ja bereits Horst Seehofer vor einigen Jahren mit Blick auf die pharmazeutische Industrie in einem Interview völlig resigniert und desillusioniert genauso festgestellt.

Zwei Seiten der Medaille

Bedenken wir aber auch, dass es den meisten Menschen in Europa und vielen Menschen weltweit nie besser ging als heute – trotz aller berechtigter Kritik am Kapitalismus. Darum greift mir eine pauschale und reflexartige Kritik „am System“ zu kurz.

Ob die Regierungen und Institutionen ihren Einfluss künftig stärken können, etwa wie in China, wo ein autokratisches Einparteiensystem die Wirtschaft höchst effizient lenkt und reguliert oder ob es weiter in Richtung des westlichen, neoliberalen Wirtschaftssystems mit gewissen Entscheidungsbefugnissen in der Ebene oberhalb der Parlamente geht, bleibt ungewiss.

Von massiven Verletzungen der Menschenrechte in China abgesehen, ist das vielleicht am Ende auch egal, da sich das abzeichnende System nach westlichem Modell und ein autokratisches Einparteiensystem à la China in Bezug auf die Wirtschaftslenkung ähneln  – mit jeweils durchaus auch fragwürdigen Machtstrukturen.

Die Welt braucht jetzt eine gescheite, idealerweise nachhaltig motivierte und demokratisch legitimierte Planwirtschaft. Um die globale Nachhaltigkeit voranzubringen, brauchen wir mehr und nicht weniger Regulierung.

Ob sich mehr „staatliche“ Lenkung am Ende gegen eine selbstzerstörerische Wirtschaft behaupten kann, daran habe ich allerdings noch meine Zweifel. Derzeit hoffe ich, dass die historischen Veränderungen, die jetzt gerade mit der Coronakrise einhergehen, mit realen Chancen für eine globale, nachhaltige Entwicklung daherkommen. Immerhin: Diese Krise hat auch einige positive Entwicklungen gepusht, bei aller Sorge über den Status.

Doch der Mittelstand oder Einzelhändler profitieren derzeit kaum. Maximal temporär. Vielen Unternehmern ist es mittlerweile fast egal, ob es ein Schrecken ohne Ende oder ein Ende mit Schrecken wird. Verbände und Organisationen blicken da auch mit großer Sorge auf die kriselnde Kreativ- und Kulturbranche.

Plötzlich ist vieles binnen Wochen möglich, was bisher Jahre dauerte.

Leider zu sehr zum Vorteil großen Konzernen, nicht ausreichend zum Wohle kleiner und kleinster Unternehmen. Trotzdem erstaunlich, dass plötzlich wieder vom Helikoptergeld die Rede ist: All out! 1.200,00 Euro für jeden. Jeden Monat. Daneben wird die Viertagewoche diskutiert

Unglaublich auch, aber nicht ohne Risiken: Derzeit beziehen in Deutschland knapp 5 Millionen Menschen KUG, powered by Bundesregierung.

Lufthansa? Halbstaatlich. Commerzbank? Verstaatlicht. Senkung der Mehrwertsteuer? Ruck Zuck beschlossen! Subventionen für Unternehmen? Kein Thema! Fördermittel für Selbständige und Kleinunternehmer? Binnen weniger Wochen ausgekehrt. Schon bitten 14 weitere Großkonzerne um Fördergelder bzw. Teilverstaatlichung, berichtet Spiegel Online im August 2020. Da wird in einer Glosse „Wie Angela Merkel heimlich den Sozialismus eingeführt hat“ schon mal über den Status gelästert. Auch WELT-online macht sich Gedanken über die Verstaatlichung von immer mehr Unternehmen. Für die Gießener Zeitung beweist sich in der Coronakrise sogar die Überlegenheit von Planwirtschaft und Sozialismus. Und auch die Süddeutsche Zeitung beschäftigt sich mit den Folgen dieses, so wörtlich: Seuchen-Sozialismus.

Tendenziell ist das alles nichts anderes als eine Planwirtschaft und doch nicht dasselbe. Quasi eine plutokratische Planwirtschaft, denn der kapitalistische Neoliberalismus lebt offensichtlich weiter. Mit ihm sind unvorstellbare Gier und Egoismus an der Tagesordnung, stellt auch Sarah Wagenknecht in einer Kolumne fest. Die Vorstände der mit Milliarden Euros unterstützen Unternehmen denken nicht daran, auf ihre üppigen Gehälter zu verzichten.

Was bleibt? Es gibt diverse Handlungsmöglichkeiten. Mit Blick auf die Chancen der Krise geht es jetzt darum, mitzumischen, die nachhaltige Entwicklung von innen heraus zu fördern, die bestehenden Strukturen effizient zu nutzen, selbst Lobbyarbeit zu betreiben, die eigenen Überzeugen öffentlich zu machen und durch persönlichen Einsatz Einfluss auf die nachhaltige Entwicklung in Deutschland und der Welt zu nehmen. Dafür gibt es ausreichend Strukturen und Channels, die genutzt werden können – es muss einfach nur beherzt getan werden.

Vor allem müssen Subventionen jetzt endlich auch an die Zukunftsfähigkeit, also die Nachhaltigkeit von Unternehmungen geknüpft werden, denn eines ist doch allen längst schon bewusst gewesen, Corona hin oder her:

Ein Reset der bisherigen, kaum nachhaltigen Wirtschaftsform war überfällig.

Nachtrag vom 14.09.2020:

Elementar für die Zukunft der nachhaltigen, globalen Entwicklung sind ebendiese Orientierungen: Spiegel berichtet in der heutigen Ausgabe über ein Gipfelgespräch zwischen EU und China. Zitat:

„Es wird nichts Wesentliches entschieden, aber es wird von wichtigen Akteuren darüber geredet, wie Staaten mit Staaten und wie Staaten mit Menschen umgehen wollen und sollen. Im Prinzip geht es um das demokratische gegen das autoritäre Prinzip“

 
 
 
Jürgen Zietlow

Jürgen Zietlow

Unternehmensberater für nachhaltige Kommunikation

Fachjournalist, Umwelt-Lobbyist | 2005 bis 2017 Chefredakteur Magazin MEDIEN | seit 2010 Analyst für nachhaltige Kommunikation, Social Monitoring/Media | Entwickler LineCore-Methode® (Recherche-/ Redaktionssystem).

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