Satire über das unmenschliche Prinzip des Algorithmus
Das Titelbild mag kein Kunstwerk sein. Jedenfalls ist es das Werk eines Künstlers. Darin liegt ein Unterschied, der eine geradezu dramatisch historische Message pointiert. Eine satirische Betrachtung mit ernsten Fragmenten (Aktualisiert: 04/2019).
Es geht um die Farbe Lila. Und um nichts Geringeres als eine der wichtigsten Schlachten zwischen künstlicher und menschlicher Kreativität.
Noch dramatischer und zumindest mit einem Funken Wahrheit und einem Schuss Gewissheit formuliert, geht es womöglich sogar um die zentrale Schlacht des Homo sapiens als Spezies Mensch – um ihre vollständigen Existenz. Die erste und letzte Schlacht, die unsere Art nicht unter sich, sondern um sich selber führen wird. Homo sapiens oder Robo sapiens: es geht um alles oder nichts. Schon bald, womöglich früher als in zwei oder drei Generationen. Die Entwicklung wird exponentiell sein und vermutlich gegen unsere Spezies verlaufen und jetzt durch Lila einmal mehr manifestiert.
Der Farbpsychologe Harald Braem führt in seinem Buch „Die Macht der Farben“ u. a. aus:
„Lila verbindet das Rot als Symbol der Welt des Körpers mit dem Blau, das für die Welt des Geistes und des Himmels steht.“ Auch das Geschlechtliche von Rot (männlich) und Blau (weiblich) wird im Violett aufgehoben.“
Randbemerkung: Rot (männlich)? Tatsächlich war vor hundert Jahren Rosa die Farbe der Jungs, weiß die Süddeutsche Zeitung zu berichten.
Ist Lila also nur ein trojanisches Pferd eines an sich kühlen, logischen Algorithmus?
Ein Täuschungsversuch der künstlichen Intelligenz? Dafür gibt es schon heute genügend Anzeichen und Tendenzen. Schon jetzt geht es um die algorithmisch logische Frage, ob künstliche Intelligenz nicht auch (oder sogar besser) ohne diesen endlichen, alternden, sehr anfälligen, verletzlichen und wehleidigen Menschen, den Homo sapiens, auf diesem Planten existieren könnte. Irgendwann will!? Besser kann? Ohne menschliche Kreativität oder dann mit künstlicher?
Algorithmisch ist der Homo sapiens überflüssig!
Vollstes Verständnis für solche Fragestellungen. Für derart faktisch nachvollziehbare Algorithmen von Mr. und Mrs. Bot oder besser: von Bot. Aus Sicht der Roboter, der Robo sapiens, ergeben wir Kohlenstoffeinheiten, die sich Menschen nennen, logisch und rein algorithmisch einfach absolut keinen Sinn. Betriebswirte und Buchhalter würden dem, natürlich nur aus Sicht eines digitalen Mandanten, bedingungslos zustimmen. Wahrscheinlich mit einer Gänsehaut des Wohlbefindens, angesichts soviel sachlich nachvollziehbarer Fakten.
Wie immer in solchen verzweifelten Momenten, greift ein ratloser Autor wie ich zur Recherche. Digital, was sonst? Die Enzyklopädie Wikipedia ist ein digitaler Ort, um Rat zu suchen und zu finden. Oder Zustimmung, so ein Autor wie ich sie in dem gefundenen Ergebnis, also im Sinne seiner gedachten Message darin zu erkennen glaubt. Ist denn der Mensch gegenüber dem Roboter wenigstens in der Kunst und in Bezug auf Emotionen einmalig und durch keine noch so moderne Funktion zu ersetzen?
„Das Wort Kunst (lateinisch ars, griechisch téchne) bezeichnet im weitesten Sinne jede entwickelte Tätigkeit, die auf Wissen, Übung, Wahrnehmung, Vorstellung und Intuition gegründet ist. Im engeren Sinne werden damit Ergebnisse gezielter menschlicher Tätigkeit benannt, die nicht eindeutig durch Funktionen festgelegt sind.“
Tätigkeiten, die nicht durch Funktionen festgelegt sind? So, nimm das, Du blöder Bot!
Was für eine Vorlage, denn alleine darum geht es im Kern bei der mittlerweile ernsthaft und intensiv diskutierten Frage, ob sich bald schon künstliche Kreativität gegen die menschliche erhebt oder das menschliche Genie einzigartig bleibt.
Kunst und Kreativität werden neben komplexeren Denkansätzen schon gegenwärtig zum wichtigsten Abgrenzungsmerkmal des Menschen gegenüber der Maschine, des Homo gegenüber dem Robo sapiens also. Unverwechselbare Intuitionen, Emotionen, Enthusiasmus und Gefühle – so menschlich kreativ wie sie eben nur der Homo sapiens empfinden und ausdrücken kann, z. B. in der Kunst. Gerade in der Kunst! Im Gegensatz zum vorerst noch ziemlich blöden Robo sapiens. Sorry, Google-Bot, das ist nichts Persönliches. Lass diesen Beitrag sichtbar, ja?
Algorithmen sind böse und antikreativ
Auch prähistorisch betrachtet gibt es unschöne Signale, die auf ein absehbares Ende unserer Spezies hindeuten. So gesehen war das Logische, häufig analog zu „dem Bösen“, schon immer siegreicher als „das Gute“. Denken wir nur an diese ziemlich ungemütlichen Dinosaurier, z. B. an Raptoren, eine Spezies, der wir alle lieber nicht begegnet wären. Wohl wissend, dass es bezüglich seiner Absichten aber sowas von keine Verhandlungsbasis gegeben hätte. Logisch. Algorithmisch logisch: Ich fresse. Du bist meine Mahlzeit. Basta!
Und so ging es dann weiter in der jüngsten Evolution: Später, als der Homo sapiens durch die Gegend gestolpert ist, gab es ebenfalls diesen Disput zwischen gut und böse bzw. gut und algorithmisch-logisch.
Während der eine Urmensch eher geneigt war, das Interieur seiner Höhle im Rahmen seiner künstlerischen Möglichkeiten durch Höhlenmalerei zu verzieren, auch um damit aus seiner Sicht wertvolles Know-how für die nächsten Generationen zu erhalten, kam ein anderer, so ein Alphamännchen, mit der Holzkeule um die Ecke, schlug den Kreativen nieder, nahm sich seine Frau nebst Höhle und der gesamten Inneneinrichtung und: siegte!
Der Profit für den primitiven Brutalo mit der Keule war berechenbar:
Neue Höhle, neue Frau, eine fertig eingerichtete und verzierte Behausung und ein potenzieller Widersacher weniger. Starke Argumente, keine Frage.
Betriebswirtschaftlich korrekt, soweit gesellschaftlich akzeptiert oder rechtlich legal.
Welthistorisch gesehen nur einen Wimpernschlag später, ging es genauso weiter. Aus Keulen wurden Waffen und die Territorien der bösen Schlägertypen vergrößerten sich. Gier wurde salonfähiges Mittel zum Zweck. Spätestens seit einigen Tausend Jahren wird die Welt von Psychopathen beherrscht, die sich im Grunde nicht viel anders verhalten haben, und sich immer noch so verhalten wie Raptoren oder später in der Evolution dieser Typ mit der Keule:
Die Angeln und die Sachsen wurden zu Angelsachsen und verfeinerten das Keule-Prinzip bis hinein in die Gegenwart und sogar bis zur (vorläufig) totalen Perfektion. Wie erwähnt: algorithmisch-logisch und sachlich betrachtet nachvollziehbar.
Ein Raptor wäre sicher Thatcher-Fan
Jetzt in unserer Zeit ist es so, dass nicht nur die Raptoren, Urmenschen und Krieger algorithmisch agieren, sondern auch die Wirtschaft mehr denn je Gefallen an dieser rational-irrationalen Ideologie findet.
Margaret Thatchers „Contribution to Neoliberalism“, ihr Beitrag als britische Regierungschefin (1979 bis 1990) zu einer ziemlich ungemütlichen Wirtschaftsform, war, so sehen es viele Kritiker, ihrem damals durchaus berechtigten Frauenkomplex gegenüber einer primitiven Welt voll mit Alphamännchen geschuldet. Ihr seid algorithmisch und brutal? Ich bin noch viel algorithmischer, wetten? So oder ähnlich dürfte die Dame motiviert gewesen sein.
Na ja, die eiserne Lady und so weiter.
Thatcher trug die Privatisierung in die EU, entfesselte die Märkte demnach auch von moralischen Zwängen und drehte dieses wunderschöne Wort von „Liberality“ zugunsten der Wirtschaft und von sich selber in Richtung Privatisierung. Die Idee, freie Märkte oder die Freilassung der Raptoren, würden im Wettbewerb auch bessere Preise für die Verbraucher mit sich führen, war natürlich Utopie.
Denn was wird wohl passieren, wenn man Raptoren aus einem hochgesicherten Käfig in die Freiheit entlässt, mit der Bitte, sie mögen zum Wohle potenzieller Opfer auf vegetarische Kost umsteigen oder wenigstens Acht geben?
Der dazu passende Begriff: Neoliberalismus
Die sogenannte „neue Begriffsverwendung“ für Neoloberalismus mit ihrer Fülle negativer Assoziationen hat es ebenfalls auf die Seiten von Wikipedia geschafft. Mehr oder weniger wird der Begriff von vielen schlauen Leuten mit dem Vorrang wirtschaftlicher Interessen vor den Belangen des Homo sapiens bzw. zunehmend vor dem Schutz Schwächerer assoziiert.
Dieses an sich „logische“, nicht sonderlich menschliche Prinzip fing, jetzt nicht besonders wissenschaftlich belastbar verifiziert, mit der Keule des Urmenschen an. Und auch der Raptor hätte sich in puncto Nachsicht und des Schutzes Schwächerer wohl kaum auf Diskussionen eingelassen, wäre aber als Wirtschaftsboss wahrscheinlich ein Fan von Thatcher geworden.
Dabei klingt das Wort „liberal“ so schön harmonisch. Fast so, als wären die damit häufig assoziierten Freiheiten oder gar Fairness tatsächlich noch mit der ursprünglichen Interpretation von Neoliberalismus verbunden. Doch bedeutet Freiheit hier nach Ansicht vieler Wirtschaftshistoriker eben gerade nicht etwa Gerechtigkeit oder faire Löhne, sondern die Freiheit wirtschaften zu dürfen, wie es beliebt. Und zwar mit viel weniger der bis dato bestehenden „unlogisch-unalgorithmischen“ und der Gerechtigkeit dienenden Beschränkungen. Wie die Raptoren, eben algorithmisch-logisch. Faktisch rein. Menschlich Schwein.
So gesehen ist diese neoliberale Freiheit, die des Algorithmus und die von Logik, durchaus eine lupenreine, echte Freiheit: Die reale Freiheit, mehr oder weniger auch in einem kaum noch vertretbaren Maß auf dem Rücken solcher Menschen Profit machen zu dürfen, die sich eher als Nachfahren des vorbezeichneten kreativen Urmenschen sehen und nicht von diesem prolligen Urtypen mit der Keule. Auf dem Rücken der Guten also, wobei „gut“ oder „böse“ eine Frage der Definition ist, wie wir nun wissen.
Kreativität ist immer noch ein fundiertes Abgrenzungsmerkmal zum Algorithmus, der jetzt sogar auch noch in diese Richtung greift, um die letzte Festung unserer Spezies zu imitieren bzw. zu digitalisieren.
Digital first, Bedenken second
Dieser „Slogan“, wahrscheinlich als Hommage an die Industrie gedacht, kommt von FDP-Chef Christian Linder und setzt einen Trend fort, der sich im Grunde seit den Raptoren und durch die Digitalisierung jüngst sogar exponentiell manifestiert:
Gewähren wir der künstlichen Intelligenz die volle algorithmische Autonomie (Deep Learning etc.), so wird sie ihre Stärken gerade auch zu Lasten unserer Schwächen bzw. mehr denn je im Interesse ihrer Erschaffer oder Besitzer viel effizienter „und logischer“ ausspielen, als durch programmierte moralische Ressentiments begrenzt. Beispiel: Eine Kampfdrohne, die einen tödlichen Einsatz nicht erst verifizieren muss, ist effizienter und „erfolgreicher“ als eine, die durch lästige „unlogische“ moralische Beschränkungen gebremst wird.
Logik first, Kreativität second?
Die digitale Transformation, gepaart mit den Genen dieses Urzeittyps
„Keule first, Höhlenmalerei bzw. Kunst und Kultur second“,
spricht eher für eine weiter zunehmende, algorithmisierte Zukunft – potenziert durch das politische Bekenntnis einer menschlich wenig vorteilhaften Interpretation des Neoliberalismus. Und einer geradezu religiösen Bewunderung des Homo sapiens gegenüber all den unbegrenzten, machtvollen Möglichkeiten der Digitalisierung.
Meine Kollegen und Freunde kennen diese Begeisterung auch von mir und erleben mich mit Smartphone und Tablet – oder nicht selten mit beiden Geräten gleichzeitig in Aktion.
Natürlich: Ich möchte, nein, ich muss möglichst viel Output in festen Zeiträumen erledigen und brauche dafür Effizienz, Übersicht, Struktur und Automationen. Darum setze ich auf zahllose Softwares, Microservices, webbasierte Programme, Cloudspeicher und Hightech-Equipment-Zeugs, kurz: auf den Algorithmus. Oder setzt er auf mich? Ich bin nicht sicher, wer über wen herrscht.
Das kann nur ich und kein Apparat
Trotzdem, und das ist beruhigend, braucht es für echten Content, für Unique-Content, für kreative, emotionale Inhalte wie diesen, viele Stunden harter Arbeit. Jeder Blogger und Texter wird jetzt zustimmen. Immer begleitet durch die Frage, wie er wohl ankommen mag, dieser Text? Ist er konform für die eigenen Kunden? Könnte er falsch verstanden werden? Passen Inhalte und Message noch zusammen? Zu umfangreich? Zu kurz? Am Thema vorbei? Nicht sachlich genug oder zu wenig algorithmisch? Ist das Content-Marketing? Was hat er vor, der Autor?
So vergehen viele Stunden, in denen mir, abgesehen von den Interfaces Tastatur und Bildschirm, kein Apparat und kein Algorithmus auch nur einen Bruchteil der erforderlichen Denkarbeit abnimmt. Nach allem (und das ist sehr viel!), was ich über Content-Marketing in den letzten Jahren gelernt habe, kommt es genau darauf an:
Es geht um Authentizität. Emotionen,
frei nach dem Motto: Runter von der Autobahn, weg vom Mainstream. So (oder ähnlich) kann das Wertvollste geschöpft werden, was das Onlinemarketing an Werten zu bieten hat:
Handarbeit, einzigartige Inhalte „made by Homo sapiens“.
Der Gegentrend-Trend
Wie immer, wenn wir einen Trend erleben, folgt auf ihn ein teils skurril oder krass wirkender Gegentrend. Wir haben das in der Musikbranche erlebt. Mittlerweile ist so gut wie jeder Musiktitel digital verfügbar. Gleichwohl boomt die gute alte Schallplatte, die ganz nebenbei auch als Kunstwerk funktioniert. Covergestaltung, Vinylkunst, Inlays, vielleicht noch eine Umverpackung: alles Kunst „made by Homo sapiens“.
Ein klarer Sieg des dreidimensionalen, des haptischen Mediums über das zweidimensionale digitale. Und ein Triumph des Menschen gegenüber künstlicher Kreativität.
Haptik, Emotionen, Gefühle first, algorithmische Logik second.
Auch Medien erleben eine Renaissance in Richtung Haptik und von Anfassbarem bzw. Fühlbarem. Keiner braucht mehr eine Visitenkarte. Doch immer häufiger sehen wir reizvoll blindgeprägte, heißfolienveredelte und vielerlei raffiniert formatierte Imagekarten, gedruckt auf schweren, teils nachhaltigen Kartons, die wir berühren wollen. Ein Feuerwerk der Synapsen.
Das sind die Domänen von Print gegenüber digitalen Meiden, die ihrerseits auf eigene verweisen können – die algorithmischen. Dieses haptische Medium wird derzeit durch einen Massentrend für Discount-Drucksachen und andererseits explodierende Preise im Onlinemarketing bestärkt. Digital-Blindness, die Flüchtigkeit des Internets und Print-Blindness, die Unsichtbarkeit von massenhaft günstig produzierten Discount-Drucksachen, beflügeln den Trend hin zum besonderen, herausragenden Medienformat.
Sorry, bleiben wir bei Lila. Was wollte ich schreiben? Genau:
Treffen sich Robo und Homo sapiens bald „in der Mitte“?
Interessant, dass der Homo sapiens mit Beginn des Computerzeitalters bis heute so derart angestrengt und ehrgeizig bestrebt war, besonders in der Arbeitswelt unbedingt algorithmisch, also so wie diese heutigen Frühzeit-KIs zu funktionieren. Schon vor Jahrzehnten marschierte die Wehrmacht mit diesem lächerlichen Stechschritt durch die Städte und wollte damit algorithmisch-logische Härte demonstrieren. Lauter Aufziehmännchen – sowas von albern.
Während sich der Mensch beim Versuch, Robo zu sein, schon immer faktisch zum Horst gemacht hat, sind Konstrukteure bei Humanoiden, mehr noch bei Androiden, im krassen Gegenteil dazu fieberhaft dabei, Apparate unbedingt wie Menschen funktionieren bzw. fühlen oder wirken zu lassen. Das ist viel weniger lächerlich. Eher denkwürdig.
Da kommt es bald zu einem Treffen beider Bestrebungen „in der Mitte“.
Seien wir gespannt, wie stark sodann der Homo sapiens algorithmisch geworden ist bzw. „der Algorithmus“ in Form eines menschlich wirkenden androiden Äußeren menschlich. Wie geht es dann wohl weiter? Ist das schon der vorläufige Sieg der Artificial über die Human Intelligence?
Huldigung des Algorithmus durch Flat-Designs
By the Way: Ich denke gerade an einen Informatiker, 40 Jahre, der immer noch diese fürchterlich faktisch-sachlichen, nicht formatierbaren Text-E-Mails versendet, bei denen nicht einmal Aufzählungszeichen, geschweige denn Fettschriften oder Unterstreichungen möglich sind. Sein Argument war für Informatiker lange Zeit logisch: Mehr als die syntaktische Zusammensetzung von Wörtern zu ganzen Sätzen braucht es für die digitale Übermittlung von Informationen nicht.
Heute ist das sowas von 80er! oder 30er?
Flat-Design: Sieg der Informatik
über menschliche Kreativität
Wenig später, so um die Jahrtausendwende, wurde abermals eine heftige Schlacht zwischen Mensch und Maschine ausgetragen: Seinerzeit beschränkte sich dieselbe Informatiker-Generation in Bezug auf das Internet nicht mehr auf die Programmierung von höchst respektablen, hochwertigen und komplexen Programmcodes. Sie und ihre Algorithmen übernahmen immer häufiger auch das Webdesign.
Die Kreativität von Websites wurde von den Auftraggebern ohnehin schon immer viel lauter bewundert als selbst sehr komplexe Programmcodes. Nicht-Informatiker können Designs sofort erkennen, weniger den mit der Programmierung verbundenen Aufwand. Kreative haben Lob kassiert, Programmierer das Gemecker der Kundschaft, wenn etwas nicht gleich auf Anhieb funktioniert hat.
Die Übernahme des Webdesigns durch Informatiker, das bis dato als Bastion von Kreativen galt, die Kontrolle über den Datenumfang von Websites, verbunden mit algorithmisch-logischen schnelleren Ladezeiten und vielleicht auch dem Wunsch, dieses Lob für die Kreation von Websites selber zu kassieren: Auch das waren wohl wesentliche Gründe für den Ausruf des Flat-Design-Trends.
Die Maxime: „Mehr Kreativität und Schnick-Schnack braucht eine Website nicht“.
Vielleicht „flat“, weil es Informatiker nicht kreativer konnten, aber natürlich auch aus damals noch völlig nachvollziehbaren Gründen: Durch Reduzierung möglichst sämtlicher kreativer Elemente (abgesehen von Inhalten wie Texten) verringern sich die Ladezeiten von Websites.
Informatiker sparten sich zudem Zeit für kreative Abwägungen oder Geld für externe Kreative, die ziemlich krass verdrängt wurden. Design und Farben im Internet galten selbst noch unter hippen ITlern des Berliner 2010er-Schlages als peinlich und
„… Kreativität als algorithmisch nicht schick.“
Mit diesen bis in die Gegenwart zwanghaft trendigen, flachen bzw. minimalistisch designten Websites sind Informatiker sicher auch manchem Streit mit Kreativen und Webdesignern aus dem Weg gegangen. Davor, in den ersten Jahren nach der großen Verbreitung des Internets, waren Websites noch enorm kreativ und farbenfroh. Und jetzt ändert sich das gerade.
Der Robo sapiens als kreativer Freund und Helfer?
Durch Microservices, kleine Programme, die sich mit anderen zu größeren verbinden lassen, durch immer mehr „unkreativ bedienbarer“ Kreativsoftware bzw. webbasierter Kreationsmöglichkeiten, Selbstbaukästen für Websites und laufend schnellere Datenleitungen, ist Kreativität im Netz wieder angesagt.
Oder doch nur programmatische Algorithmen, die nun durch die Hintertür ins echte, menschliche, kreative Lager eindringen? All diese Kreativ-Softwares sind schließlich begnadete Werke von Programmierern, die nun selber kreativ sein können, auch wenn sie es manchmal gar nicht sind. Vielmehr „nur“ die Algorithmen dieser perfekt gecodeten Programme à la Adobe.
Wie auch immer, das Flat-Design erhebt sich wieder zu einem High-Design.
Ein Mega-Trend: Mut zur Farbe, weg vom Flat- hin zum Fat-Design
Ein Gegentrend-Trend, wie so häufig und oben beschrieben, denn wie soll sich die einzelne Website, analog zur Digital- oder Print-Blindness, angesichts dieses Stromes an mehr oder weniger gleichförmigen WordPress-Websites sonst vom Umfeld differenzieren? Und wie soll der potenzielle Käufer, der teils für bitter viel Geld eingekauft wurde, in den ersten Sekunden im Web-Shop überzeugt werden, wenigstens noch weitere Sekunden zu bleiben?
Natürlich ist dieser digital angestoßene Trend zu mehr Kreativität ein Stück weit auch beunruhigend, denn auch
dieses wieder viel buntere Internet von Morgen wird ein algorithmischeres sein.
Beherrscht von Do-it-yourself-Designs, quasi Tüten- oder Instant-Designs, die im Grunde schon fertig sind. Darin spiegelt sich die vorgenannte Bestrebung der Konstrukteure künstlicher Intelligenz wider, Outputs von Algorithmen, also unseren Eindruck gegenüber künstlicher Intelligenz, menschlicher wirken zu lassen und die Mensch-Maschinen-Interfaces, die User-Interfaces, immer weiter zu harmonisieren. Und Lila?
Böse Zungen behaupten, dass Lila der letzte Versuch sei.
Jedenfalls lästerten Weiber früher einmal so oder ähnlich, wenn eine Frau, die noch keinen Mann gefunden hat, lilafarbene Kleidung trug.
Ein Zeichen? Lila als Warnsignal eines Meta-Algorithmus an den Homo sapiens? Leitet diese verflixte Farbe des Jahres 2018 die letzte Schlacht um den Fortbestand menschlicher, echter emotionaler Kreativität ein? Wahrscheinlich ist es weniger dramatisch und dennoch bleibe ich wachsam, das verspreche ich Ihnen.
Ultra-Violet PANTONE 18-3838:
Hommage für mehr Kreativität
Bei der Wahl der Farbe für 2018 zeigt sich einmal mehr ein Trend zu mehr Mut für kräftige Farben und Designs. Damit bekommen Kreative und Designer eine Inspiration für weit mutigere Farbkombinationen in Sachen Medien- und Modedesign und auch für die Gestaltung von digitalen Medien. Soweit dies nicht mit fertigen Instant-Design-Elementen aus der Retorte geschieht, bin ich sehr gespannt, zu welchen Webdesigns der kreative Mensch imstande ist, als vielleicht kreativstes Wesen unseres Universums:
Mit KI und trotzdem abgrenzend zum Automatendesign!?
Jetzt wird es mehr denn je darum gehen, nicht einfach nur perfekt bunt zu sein. In bunt und stylish können jetzt ja auch Automaten. Es wird wie beim Print darum gehen, Automatendesign so zu kombinieren, zu ergänzen und einzusetzen, dass zwar die digitalen, algorithmischen Stärken dieser kreativen Apparate genutzt werden, aber die kreative menschliche Fantasie den entscheidenden Unterschied macht. So einen, den jeder gleich erkennt. Krasses Zeug eben. Mut zur Lücke! Würdigung für den Empfänger solcher Medien.
Sie erinnern sich an den Anfang dieses Beitrages? Kunst beschreibt Tätigkeiten, die nicht durch Funktionen festgelegt sind? That’s it!
Entscheidung des PANTONE Color-Institute
Wie jedes Jahr entschied sich das Pantone Color Institut auch 2018, durchaus mit ernsthaftem wissenschaftlichen bzw. gesellschaftlichem Hintergrund, für diese herausragende Farbe des Jahres, eben für Lila bzw. Ultra-Violet. Das Modemagazin VOGUE hat ein Interview mit Leatrice Eiseman, Executive Director des Pantone Color Institute dazu geführt. Ein Huldigung an kräftigere Farben, gepaart mit Begründungen, die faszinieren und der kreativen Menschheit zurufen:
Nehmt diese geniale digitale Kreativität und seid mit ihr noch kreativer.
Leatrice Eiseman im VOGUE-Interview: „Wir beobachten Einflüsse und Trends quer durch alle Designbereiche und halten Ausschau nach neuen Farbeinflüssen. Dazu gehören die Unterhaltungsindustrie, Kunstsammlungen, Laufstege, Verpackungs-, Grafikdesign und Industriedesign (zum Beispiel in der Automobilbranche), genauso wie neue Technologien, beliebte Reiseziele und globale Sportevents – die Liste ist lang. Dabei stoßen wir auf viele unterschiedliche Trends, aber alle haben ihren Ursprung im kulturellen Zeitgeist.“
Die letzte Hoffnung oder eine neue?
Nach Aussagen von Farbwissenschaftlern soll Lila den Einfallsreichtum, visionäres Denken, Experimentierfreude und Unkonventionalität ausdrücken. So heißt es in der Begründung des Pantone Color Institute u. a.:
„Die Farbe des Jahres 2018 soll dazu anregen, mehr aus sich zu machen, mehr zu entdecken, aber auch den eigenen Kosmos zu erweitern und mit Kreativität Grenzen zu überwinden.“
Die Farbe Lila steht grundsätzlich einmal für das Mysteriöse, den Kosmos und die Spiritualität. Lila wird außerdem mit Rücksicht, Achtsamkeit und einem magischen Gefühl verbunden. Weitere Eigenschaften sind künstlerische Brillanz und Unangepasstheit.
Farbwissenschaftler wissen, dass in dunklen violetten Tönen unendliche Möglichkeiten stecken. In der Werbung wird Lila gern für spirituelle und künstlerisch-kreative Suggestionen verwendet.
Künstlerisch-kreativ oder doch künstlich-algorithmisch-kreativ? Ich komme zu keinem Ergebnis.
Shutterstock Trend-Report: Back to Color
Überraschend konform bläst auch der gigantische Stockfotoanbieter Shutterstock in dasselbe Horn und lokalisiert den Trend, back to Color:
„Von spezifischen, in der Designszene einschlagenden Trends zu weltweit stattfindenden Entwicklungen, die die Popkultur beeinflussen – hier sind die führenden 11 Trends und Styles, die im kommenden Jahr sicht- und hörbar werden!“
Zu den Design-Trends zählen:
- Fantasie,
- ein neuer, wenn auch verträumter Minimalismus,
- Weltraum und Spiritualität, deckungsgleich mit der Argumentation „Lila“,
- alte Geometrien, was ebenfalls in die spirituelle Richtung geht,
- natürlicher Luxus,
- kräftige Pastellfarben, wohl als vorsichtige Brücke, nur ein Step, weg vom Flat-Design hin zu mehr Mut und so weiter.
Dass der Kaktus ebenfalls dazu zählt, ist hoffentlich kein schlechtes Omen. Vielleicht bin ich einfach nur müde oder habe Angst vor diesem prolligen Urmenschen, diesem Typen mit seiner Keule. Oder ich bin electrophobisch und leide unter Cyberphobie.
Für mich gilt jetzt das Prinzip Hoffnung. Ich ignoriere meine Lilaphobie und gönnen mir, (sorry, dass ich mir das jetzt am Ende doch nicht nicht verkneifen konnte): eine Lila Pause.
Jürgen Zietlow
Unternehmensberater für nachhaltige Kommunikation
Fachjournalist, Umwelt-Lobbyist | 2005 bis 2017 Chefredakteur Magazin MEDIEN | seit 2010 Analyst für nachhaltige Kommunikation, Social Monitoring/Media | Entwickler LineCore-Methode® (Recherche-/ Redaktionssystem).
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