Nicht was heute ist oder funktioniert, da es vor vielen Jahren unter anderen Bedingungen erkoren wurde, sondern was morgen sein wird, ist eine Frage, die zu stellen sich lohnt. Die Rahmenbedingungen für Unternehmer waren schon mal besser. Grund zur Panik besteht nicht – nur, wenn wir das Umfeld nicht ehrlich genug einschätzen.

Digitale Transformation:

Das klingt so wohlwollend wie Industrie 4.0. Hier tun sich tolle Möglichkeiten auf.

Mit dieser historischen, digitalen Revolution stellten sich auch Risiken und Nebenwirkungen ein, denn mit ihr kreuzt sich gerade ein ebenso historisches Ereignis zu einem explosiven Gemisch: der Neoliberalismus.

Die Idee des Neoliberalismus

Margaret Thatcher trieb das Leitbild des Neoliberalismus in den 80er-Jahren auch in der EU politisch voran, denken wir an die Privatisierung des Energiesektors mit signifikanten Nachteilen für die Verbraucher. Anstelle der erwarteten Vergünstigungen durch mehr Wettbewerb gab es Absprache und Preistreibereien. Die Freiheit der Märkte wurde teils über die Belange der Menschen gestellt. In Großbritannien starben 2015 circa 40.000 Menschen am Kältetod. Eine dort geführte Liste dieser Extratoten wird als „Extra Winter Deaths“ bezeichnet.

Die Paarung dieser neoliberalen Freiheiten mit den Möglichkeiten der digitalen Transformation ist zum Risiko sozialer Stabilität geworben. Fehlende Kaufkraft durch sinkende Reallöhne gefährdet zudem den Mittelstand. 

Destruktiv versus konstruktiv

Manchmal wendet sich das Blatt nur, wenn man es dreht.

Unternehmern stehen entscheidende Jahre bevor. Eine Kreuzung: Zurück führt kein Weg. Geradeaus und weiter wie bisher? Wer sich bereits entschlossen hat, wird wahrscheinlich genau das tun. Und alle anderen? Dass sich die Geschäftswelt mit großem Tempo digital transformiert, ist Fakt. Die Frage ist, wie Verantwortliche mit den Möglichkeiten umgehen. Vereinfacht: konstruktiv oder destruktiv?

IWF kritisiert radikalen Kapitalismus

Der erste Weg führt ins Lager des Neoliberalismus:

Gegenüber den Menschen hat die Freiheit der Märkte sodann Vorfahrt. Wie diese Freiheiten von Verantwortlichen umgesetzt wurden, ist mittlerweile selbst dem IWF (Internationaler Währungsfonds), der die Doktrin deregulierter Märkte stets gefördert hat, zu viel des Guten. Heute kritisiert der IWF die Auswüchse des Neoliberalismus. Thatchers Idee der Privatisierung zunächst des Energie- und Versorgungssektors hat den Briten insgesamt extrem gestiegene Energiekosten beschert, während sich nur einige wenige Aktionäre über Maßen bereichern konnten.

In einer Studie beschreiben drei IWF-Topökonomen den Neoliberalismus als überschätzt: Staaten wurden in die Pleite getrieben, Superreiche noch reicher, ein Großteil der Bevölkerungen von der Teilhabe durch regelrechte Hungergehälter abgeschnitten, Banken mit Billionen Euros gerettet, immer neue Krisen ausgelöst. Wenige Tausend Player profitierten durch neue digitale Jobs der Share Economy und verschafften sich abstrakte Milliardengewinne. Über 15 Millionen „Beschäftigte“ stehen am Rande der Existenz oder sind auf staatliche Zuwendungen angewiesen.

Den offiziellen Angaben der Bundesregierung folgend, ist der tatsächliche Status weniger dramatisch. Die Bundesregierung optimiert Statistiken z. B. im Falle der Arbeitslosenquote und veröffentlicht die echten Daten mit rund einer Million zusätzlicher Arbeitslosen bzw. Hilfsbedürftigen in ihrem monatlichen Bericht (Bundesagentur für Arbeit: Arbeits- und Ausbildungsmarkt in Deutschland. Monatsbericht Mai 2017, Seite 72.), den sich aber nur wenige tatsächlich anschauen.

In der Öffentlichkeit wird nur die optimierte Arbeitslosenquote

  1. uneingeschränkt von den GEZ-Medien und
  2. teilweise auch über auflagenstarke nichtstaatliche Medien unkritisch verkündet,

obgleich sie erheblich vom tatsächlichen Status abweicht. Das macht ein Stück weit auch Sinn, denn die Stimmungen in Wirtschaft und Gesellschaft gelten als treibender Faktor. Doch langsam nehmen diese Statistikoptimierungen annähernd skurrile und geradezu fantastische Formen an.

Neoliberalismus ist wie
Verkehr ohne Verkehrsordnung

Stellen wir uns einen im Vergleich dieser Wirtschaftsdoktrin entfesselten Straßenverkehr vor, in dem das Recht und die Freiheit des Stärkeren teils über die Belange schwächerer Verkehrsteilnehmer gestellt würden. Hast du Skrupel, eine zu kleine Stoßstange oder zu wenig PS, dann bist du zu schwach!?

Für wenige wäre dies das Paradies auf Erden, für die Mehrheit jedoch ein Horror. Der Vergleich zum Neoliberalismus ist realistisch.

Die neuen Technologien des Industrie-4.0-Zeitalters können konstruktiv oder destruktiv wirken. Ein Streichholz kann Wärme spenden oder eine Katastrophe auslösen und ein Messer schneiden oder töten. Nach diesem Prinzip wurden neue Technologien der digitalen Transformation durch die Freiheit dieser radikalen Variante des Kapitalismus teilweise zu gefährlichen Instrumenten, die Wohlstand und Stabilität ganzer Gesellschaften gefährden.

Auch 800 PS, gesteuert von Rasern in einem deregulierten Straßenverkehr, wären ein ernsthaftes Problem für alle Verkehrsteilnehmer. Freiheit setzt Freiwilligkeit voraus und scheitert sowohl im Straßenverkehr als auch in der Wirtschaft schon, wenn wenige damit nicht umgehen können. Sie zündeln mit ihrer Verantwortung und nutzen soviel PS wie möglich, um sich auf Kosten aller Vorfahrt zu verschaffen – weit über die Grundsätze der bewährten sozialen Marktwirtschaft hinaus.

Dieses Milieu ist derzeit noch vorherrschend und unterstreicht die Bedeutung von Verantwortung, für die umweltfreundliche Betriebe der Druck- und Medienbranche mit spannenden Angeboten und Services stehen.

Konstruktive Ansätze

Auf dem zweiten Weg sind ebendiese Unternehmen, die Technologien sinnvoll nutzen,

z. B. für Energieeffizienz, E-Mobilität, die Erzeugung, Verteilung und Speicherung regenerativer Energien oder für die Produktion sehr individueller Drucksachen, häufig „made by homo sapiens“ mit einem großen Anteil nichtrationalisierbarer Leistungen. Das Substitut von radikal expansiv und rational? Individuell, nachhaltig, kreativ.

Aktuelles Umfeld

Konstruktive, kritische und ehrliche Prognosen liefern Handlungsspielräume. Unmöglich, Chancen in der Druck- und Medienbranche zu lokalisieren, ohne einen Blick aus der Vogelperspektive auf das gesamte Umfeld.

Darum lohnt ein Blick auf den Arbeitsmarkt, Statistiken zu hinterfragen, politische Tendenzen der Globalisierung zu beobachten sowie Risiken und Chancen der vierten industriellen Revolution zu bewerten. Der zweite und nachhaltig verantwortungsbewusste Weg zeigt beeindruckende Erfolgsgeschichten verantwortungsbewusster Unternehmer. Auch den mittlerweile großen Einfluss der nachhaltigen Szene, die mit sehr kreativen Sortimenten, Hochwertigkeit und echter, grenzenloser Kreativität punktet.

„Diktatur der Gegenwart“

Was ist passiert? Die gedopten Wirtschaftssysteme des Westens erinnern an einen Burn-out-Patienten, dem zuallererst Ruhe für Konsolidierung helfen würde, keine Dopingmittel oder Billionen-Euro-Spritzen der EZB.

Alles auf Speed. Adidas baut eine Speed-Factory, Speed-Dating, Speed-Holiday. Wow, sind wir drauf.

Der prominente Buchautor und Soziologie-Professor Harald Welzer nennt die fehlende Zeit für Erneuerung und Bestandsaufnahme „Diktatur der Gegenwart“. Tempo, Tempo, schallt es aus allen Ecken, fast wie bei einer erbitterten Schlacht. Nein, das ist nicht nachhaltig. Tendenziell eher panisch – und wenig zielführend.

„Knechtschaft des Wachstums“

CDU-Vordenker wie Kurt Biedenkopf zitieren heute sogar Erhard wieder: „Auch Ludwig Erhard hat schon gegen den ‚Wachstumsfetischismus‘, wie er das nannte, polemisiert. Er hielt es für Unsinn, Wachstum zur Voraussetzung von Stabilität zu erklären.“ Leider: das passiert derzeit. Teils auch in der Druck- und Medienbranche. Laut Biedenkopf hat sich eine Art „Knechtschaft des Wachstums“ entwickelt.

Rationalisierung, Produktionssteigerung und Automation sind derzeit noch Bestseller des produzierenden Gewerbes mit direktem Einfluss auf das wirtschaftliche Umfeld.

Dieser Tage führen viele engagiert und unbeirrt Gespräche darüber, wie sie in einem überhitzten Wirtschaftssystem und bei schrumpfenden Märkten unternehmerisch überleben können. Jedenfalls für den Augenblick.

Sie fragen hastig „wie“ – keine Zeit für „warum“.

Der Philosoph, Publizist und Honorarprofessor Richard David Precht, der für die gleichnamige Philosophiesendung im ZDF den deutschen Fernsehpreis gewann:

„Wir haben fast keine gesellschaftliche Debatte darüber, welchen Fortschritt wir brauchen und welchen nicht. Viele Fortschritte sind Antworten auf nicht gestellte Fragen.“

Je deutlicher sich abzeichnet, wie eng dieser Weg wird, desto disziplinierter stellen Unternehmer eben diese Fragen nach noch mehr Rationalität – desto konsequenter sollen destruktive Mechanismen von Wachstum, Produktions- und Effizienzsteigerung wirken, die das global taumelnde Wirtschaftssystem gerade zum Umsturz bringen könnten. Ausnahme: Energieeffizienz.

Rationalisierung ad absurdum

Als einige in unserer Branche heute erfolgreiche Geschäftskonzepte vor circa 15 Jahren entwickelt wurden, waren Rationalisierung, Prozessoptimierung und Automation ein echtes Thema – als Reaktion auf Wachstum.

Dieselben Strategien sollen heute kaum noch auf wachsende Absatzmärkte wirken. Vielmehr sollen sie als Effizienzwaffen paradoxerweise umgekehrt, nämlich gerade auf schmelzende Zielmärkte reagieren und weitere Arbeitsplätze ersetzen. Weniger Kosten, bessere Verkaufspreise: Ob Menschen in den eigenen Betrieben substituiert werden oder bei den Marktbegleitern: es läuft letztlich auf das Gleiche hinaus, wirkt marktübergreifend und kommt als Bumerang mit Konsequenzen für alle wieder zurück.

Massiver Arbeitsplatzabbau
auch in der Druck- bzw. Medienbranche

Die technisch versierte Druckbranche agiert in puncto Effizienz, rein betriebswirtschaftlich bewertet, europaweit vorbildlich. Zwischen 2000 und 2015 wurden fast 80.000 Arbeitsplätze substituiert – fast 40 Prozent der im Jahr 2000 noch bestehenden, einigermaßen gut bezahlten 220.000 sozialversicherungspflichtigen Jobs. In den vergangenen 20 Jahren waren es über 50 Prozent der Jobs, die bis heute wegfielen und teils gar nicht oder gegen schlechter bezahlte Job getauscht wurden.

Schätzungen gehen davon aus, dass von den verbliebenen Stellen innerhalb von 15 Jahren weitere 60.000 bis 70.000 entfallen werden. Also etwa nochmal so viele – analog zu vielen weiteren Branchen. Allein im vergangenen Jahr verlor die Branche mehr als 3.400 Arbeitsplätze und rund 260 Unternehmen, so der Bundesverband Druck und Medien e. V. (bvdm).

Mittelfristig lassen sich aus dieser Entwicklung ganz andere als die üblich empfohlenen Strategien ableiten.

Viele Entscheider erkennen in der Hektik dieser Zeit kaum alternative Möglichkeiten, um dem Handeln ihrer Marktbegleiter zu begegnen, als es ihnen in puncto Rationalisierung gleichzutun – im Wesentlichen entspricht das auch den Empfehlungen der EZB-Politik.

Rationalisierung ist das Jesusbild dieser Tage

Den daraus resultierenden Veränderungen des Konsums soll mit noch mehr rationaler Wucht und technologiegewaltig begegnet werden.

Da geht noch was. Wenn auch nur befristet. Für einige. Für immer weniger.

Im Rausch des „wir-sind-so-unglaublich-turbo-konsequent-rational“ wird schnell übersehen, dass laufend effizientere Produktionsmöglichkeiten, steigende Produktionskapazitäten und daraus folgend weiterhin fallende Endpreise mit ungebremster Schubkraft auf deshalb ebenso dynamisch schrumpfende Absatzmärkte stoßen. Die Reallöhne sinken – mit ihnen schwindet die Kaufkraft.

Die Folge: marktabhängiger Preisverfall, Deflation. Der Arbeitsmarkt zeigt sich in der Realität weniger robust, als offiziell statistisch dargelegt.

Instantkonzepte:
Falsche Empfehlungen

Auf einigen Seminaren und Veranstaltungen wird häufig auf ebensolche „Voran“-Strategien fokussiert, nur da sie momentan erfolgreich sind – häufig dem Absatzdruck der Industrie geschuldet.

Pauschalrezepte und Lösungen von der Stange verkaufen sich gut, denn sie spenden Hoffnung. Rezepte, die theoretisch funktionieren könnten, so die These, da sie immerhin (noch) bei den Referenzunternehmen funktionieren, mit welchen Erfolgen auch immer. Strategien, die in Aussicht stellen, eigene Auseinandersetzungen mit dem Umfeld und möglichst viele Risiken vermeiden zu können.

Influencer (Multiplikatoren), die von der Industrie direkt bezahlt werden und parallel dazu auch Unternehmer einzeln beraten, transportieren solche Ideen. Sie werden paradoxerweise auch von denen honoriert, die an technologisch fertigen Lösungen als Ersatz für eigene Prognosen und Analysen festhalten, vielleicht mangels Alternativen.

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