Chancen von Print im Umfeld der Digitalisierung

von | 2022 | Allgemein | 0 Kommentare

Titelbild: Print und Digital zu kombinieren, ist der richtige Ansatz. Print findet aufgrund seiner Urkräfte, etwa seine multisensorischen Fähigkeiten, sinnvolle Slots im digitalisierten Omnichannel der Zukunft.

Die Ankündigungen von Obi und wenig später REWE, Print durch digitale Werbung zu ersetzen, hat das grafische Gewerbe in Aufruhr versetzt. Die Kritik am Stil der Ankündigungen ist berechtigt. Mir fehlen aber Konstruktivität und zielführende Dialoge. Ich wünschte mir mehr Souveränität, denn Print wird auch in hundert Jahren noch stark nachgefragt sein, nur anders.

Im Juni 2022 erklärte die Baumarktkette Obi, ihre zentralgesteuerten, bundesweit erscheinenden Prospekte einzustellen und gegen digitale Dienste zu substituieren.

Während Obi seinen letzten Prospekt bereits im Juni 2022 verteilt hat, will REWE noch bis zum Sommer 2023 abwarten – warum das Unternehmen diesen Schritt schon heute ankündigt, bleibt offen, lässt aber Spielraum für Spekulationen.

REWE verteilt bisher wöchentlich rund 25 Millionen Prospekte in Deutschland und Obi rund 11,5 Millionen in Deutschland und Österreich.

Beide Unternehmen begründeten ihren Schritt mit einem veränderten Konsumverhalten und damit, dass die Ressource Papier zu teuer geworden sei. REWE führt ehrlicherweise außerdem die gestiegenen Mindestlöhne für Austräger:innen auf.

Obi stellt Prospekte ein und setzt auf Omnichannel

Die Obi Group Holding SE & Co. KGaA hat im Juni 2022 seine Prospektwerbung eingestellt und will stattdessen seinen Omnichannel massiv ausbauen. Im Zentrum der Strategie steht die multifunktionale App „heyOBI“. Bildquelle: Obi Group.

Dass die Unternehmen auch eine erhoffte Verbesserung der CO2-Bilanz und einen verbesserten Umwelt- und Klimaschutz zur Sprache bringen, der sich durch die Umstellung von gedruckten auf digitale Kanäle nach deren Überzeugungen ergibt, ist legitim. Allerdings hat viele Unternehmen und Verbände in der grafischen Industrie irritiert, wie das Thema kommuniziert wurde. Print wird in den Erklärungen generell als weniger nachhaltig regelrecht gebasht. Beide Unternehmen haben durch Weglassen einer, wenn auch nur groben, Information über die Umweltbelastungen bei digitalen Medien eine Chance vertan, Glaubwürdigkeit durch Transparenz bei der Begründung zu adressieren. Jetzt müffelt es nach Greenwashing – und das klingt so:

„Dass wir mit der Umstellung unserer Kommunikation viel Papier und damit einhergehend Energie, Chemie, Holz und Wasser sparen, ist zudem ein verantwortungsvoller und nachhaltiger Schritt im Sinne der Umwelt“, sagt z. B. Obi CEO Sergio Giroldi. Kein noch so leiser Eingang also auf die kritischen Umweltfaktoren, die sich zwangsläufig auch durch die Nutzung digitaler Channels ergeben.

In der Werbung klingt das sogar noch niedlicher:

„Weil der Biber Bäume zum Nagen braucht.“

So entstehen schöne – oder eben weniger schöne – Bilder im Kopf der Adressat:innen. Vor allem falsche, nämlich, dass Print mit Blick auf den Umwelt- und Klimaschutz zu den Bad-Boy-Medien zählt.

REWE-Prospekt wird eingestellt

Die REWE-Group will seine Prospektwerbung im Sommer 2023 einstellen und erklärt, wie schon die Baumarktkette Obi zuvor, seine Werbung auf digitale Channels zu verlagern. Bildquelle: REWE-Group

Auch REWE-Chef Lionel Souque erklärt, mit dem Verzicht auf Prospekte reduziere man den CO2-Fußabdruck massiv. Die Umstellung spare mehr als 73.000 Tonnen Papier, 70.000 Tonnen CO2, 1,1 Millionen Tonnen Wasser und 380 Millionen Kilowattstunden Energie pro Jahr. Statt auf Prospekte will auch REWE stärker auf digitale Kanäle oder z. B. Anzeigen in klassischen Medien setzen.

Immerhin: Obi führt als Hauptgrund für seine neue Strategie an, künftig seine Omnichannel-Ansprache perfektionieren zu wollen – und das macht, ob es gefällt oder nicht, generell durchaus Sinn. Es ist wichtig zu verstehen, wie die Strategen hier ticken und was sie motiviert. Nur so lässt sich Print in solche digitalen Prozesse integrieren, wenn auch zunehmend nicht mehr als Massenwurf-Medium.

Die Obi-Strategie lässt Raum für intelligente Drucksachen

Neben der zentralen App „heyOBI“ zählen für die Baumarktkette künftig natürlich die physischen Standorte, soziale Medien, Rundfunkwerbung und auch die laufend erweiterten Internetangebote dazu. Im Kern geht es darum, alle Vertriebskanäle lückenlos miteinander zu vernetzen – Kund:innen können im stationären Handel stöbern, sich weiterführende Informationen in einer App ansehen, mit dem Support telefonieren und schließlich online bestellen –

insbesondere geht es um die Konsistenz zwischen den Vertriebskanälen:

auf einem Kanal gespeicherte Daten und Einstellungen des Kunden, werden auf allen anderen Kanälen berücksichtigt. Das ist unbestritten sinnvoll: für Obi und seine Kund:innen.

Multichannel-Marketing bedeutet demgegenüber, dass Unternehmen auf verschiedene Kanäle zu ihren Kunden setzen, etwa auf Print – allerdings sind die Vertriebslinien zumeist nicht miteinander verbunden und unabhängig voneinander organisiert. Der Ansatz ist quasi nur ein Teil des Omnichannels.

Und im Gegensatz zum Konzept Crosschannel verschmelzen beim Omnichannel nicht nur die Vertriebskanäle miteinander, sondern auch die Kommunikationskanäle, aus Sicht der Kunden. Nur die Omnichannel-Strategie, bei der Informationen aus allen Kanälen über jeden Kunden zusammengefasst werden, schafft also vollständige Konsistenz – hier spielt KI mittlerweile eine gewichtige Rolle. Überraschend kommt diese Entwicklung nicht.

In dieser Strategie liegt jedoch auch eine riesige Chance für Print, denn Obi Managing Director Corporate Marketing Christian von Hegel deutet bereits an, auch künftig auf Print nicht zu verzichten:

Regionale Anstöße seien möglich, so auch Kataloge zu speziellen Anlässen.

Jetzt geht es darum, Print als intelligenten und integralen Kanal in diesem und vielen anderen Omnichannels zu etablieren – auf Basis seiner Bärenstärke als multisensorisches, emotionales und  im Vergleich zu digitalen Channels weit proaktiveres Trigger-Medium. Ausreichend Daten für intelligent personalisierte Druckprodukte liegen z. B. bei Obi jedenfalls künftig auf dem silbernen Tablet. So wird es künftig also deutlich weniger umfangreiche zentrale Prospektseiten und mehr regional und situativ individualisierte Bestandteile in einem Druckprodukt geben, zunehmend in hybriden Produktionen hergestellt, Stichwort: „Programmatic Printing“.

Obi App heyOBI

Die Obi Group stellt seine App heyOBI in dem Mittelpunkt seines Marketings. Die Angebote interagieren mit weiterführenden Services, etwa konkreten Beratungen in den Baumärkten, Kalendern, Einkauflisten und vielen weiteren Funktionen. So wird das Unternehmen die individuellen Präferenzen seiner Kund:innen schon bald sehr viel besser kennen. Bildquelle: Obi Group.

Vorteile der Digitalisierung gegenüber Print

Bleiben wir bei Obi, da der Konzern seinen Schritt bereits vollzogen hat: Konkret bietet Obi an, dass Kunden bereits vor dem Marktbesuch ihr Projekt in der App über eine digitale Pinnwand anlegen können. Qualifizierte Berater können entweder direkt über die Smartphone-Anwendung kontaktiert werden oder, falls gewünscht, zur Beratung vor Ort im Markt zur Verfügung stehen – so die Kund:innen das wollen. Auch Inspiration und Anleitungen für neue Projekte rund um Heim und Garten, individuelle Sofortrabatte, einen Pflegekalender für Grünpflanzen oder smarte Funktionen wie ein Produktscanner oder ein Markt-Navi sind Bestandteil dieser neuen Obi-App. Assets, die überzeugen und Print unbestritten überlegen sind.

Keine absolute Nonprint-Strategie in Sicht

Fakt ist jedoch auch, dass diese Strategie große Gefahren für Obi birgt: Die Baumarktkette hat nach eigenen Angaben rund drei Millionen App-Nutzer:innen. Gesehen auf die bisher 11,5 Millionen Prospekt-Adressat:innen würden selbst bei sechs Millionen App-Usern, nach der gewaltigen Kampagne der letzten Wochen, immer noch rund 50 Prozent der bisherigen Adressat:innen wegfallen und: die Konkurrenz schläft nicht!

Im digitalen Channel, in den digitalen Briefkästen, herrscht größeres Gedränge als in jedem noch so vollen analogen Briefkasten:

Im Schnitt quetschen sich da 80 Apps auf jedes Smartphone und buhlen um die Aufmerksamkeit bei den jeweiligen Nutzer:innen,

erläutert W&V schon 2018, auf Basis anerkannter Studien, etwa vom Datenanalysespezialist App Annie. Diverse Social-Media-Apps, Messenger- und Videocall-Apps wie Facetime, WhatsApp, Google Hangouts, We Chat, Skype, Wire und Viper etc., Videokonferenz-Tools wie TeamViewer, Zoom, GoToMeeting und Kommunikations-Tools wie Outlook, CRM-Systeme, Warn-Apps, Medien-Apps, etwa SPIEGEL, Fokus, WELT, STERN etc., vor allem aber auch unzählige Einzelhandels-Apps wie die von Obi und dann noch so vieles mehr treten in dieser digitalen Arena im Kampf um die natürlich limitierte Aufmerksamkeit bei den Adressat:innen direkt gegeneinander an. Hier können nicht alle gleichermaßen profitieren.

 
Print als Trigger-Medium

Der digitale Space ist eins schwieriges Terrain für Werbung und Marketing. Schon heute finden sich im Schnitt über 80 Apps auf jedem Smartphone. Die Zeit der User ist jedoch limitiert. Unternehmen, die weiterhin auf Print als starken Trigger setzen, dürften situativ und regional stark profitieren. Bildquelle: pixabay.

Diese „Omnichannel-Autobahn“, auf der Obi künftig ausschließlich fahren will, ist zwar praktisch und funktional, klar, aber nur theoretisch auch das bessere Werbe- bzw. Marketinginstrument. Das hohe „Verkehrsaufkommen“ im digitalen Werbeuniversum bremst die operativen Marketingziele schnell aus –

Stop-and-go, wenn nicht Stau!

Nach einer repräsentativen Umfrage von IFH Media Analytics lesen 90 Prozent der Menschen in Deutschland zumindest gelegentlich gedruckte Prospekte – gut drei Viertel aller Befragten sogar jede Woche. Auch eine Studie des Beratungsunternehmens Oliver Wyman, besagt, dass etwa 60 Prozent der Konsument:innen mindestens einmal pro Woche gedruckte Werbung anschauen. Wegen dieser gegenüberstellenden Fakten glaube ich nicht an vollständige Nonprint-Strategien.

Und die Umwelt?

Dass beide Konzerne die Umwelt- und Klimaschutzaspekte derart pauschal behandeln, vor allem aber das Medium Papier ziemlich robust bashen, ohne dabei auch nur mit einem kleinen Verweis auf die Umweltbilanz digitaler Medien einzugehen, irritiert.

Dass Fliegen, Autofahren etc. dem Klima schaden, ist allgemein bekannt, aber auch ein allzu sorgloser Umgang mit der Cloud schädigt das Klima: Ein Terabyte Cloud-Daten emittieren bis zu 210 kg CO2 jährlich. Laut einer Studie des amerikanischen Unternehmens Veritas Technologies wurden allein im Jahr 2020 5,8 Millionen Tonnen CO2 nur durch passiven, digitalen Datenmüll produziert – etwa so viel, wie die fast Zweimillionenstadt Hamburg durch ihren Stromverbrauch im Jahr insgesamt emittiert. Hier sind die

  • aktiven Nutzungszeiten der tatsächlich genutzten Apps,
  • CO2-Emissionen, die beim Bau von Smartphones entstehen,
  • CO2-Emissionen, die bei den Providern und Serverfarmen entstehen und schließlich
  • die immer noch fehlenden Wertstoffkreisläufe

noch gar nicht in diese CO2-Bilanz eingepreist.

Das Argument der Nachhaltigkeit ist in dieser Euphorie zu hinterfragen. Ökotest hat 2019 berechnet, dass jede E-Mail 10 Gramm CO2 verursacht. Ein versendetes Bild verdoppelt diese Menge. Jeder Aufruf einer üblichen App verursacht Energieverbräuche auf den Servern, die die Informationen senden und auf den Millionen von Endgeräten, die die Informationen abrufen. Dieser Bilanzierung fehlt gänzlich.

Fundierte Proargumente, die in puncto Klima- und Umweltschutz besonders für Print sprechen, etwa die jeweilige Nutzungsbestimmung bzw. -dauer, die Produktionsbedingungen, die verwendeten Papiersorten etc. müssen wir hier nicht dezidiert aufführen – auf UmDEX finden sich zahlreiche Beiträge zu diesem Thema.

So bröckelt die Argumentation pro Umwelt schon auf den ersten Blick.

Unadressierte, nicht personalisierte Massenwerbung

Nicht adressierter und/oder nicht personalisierter Massenwerbung stehen schwere Zeiten ins Haus. Print wird intelligenter, spezieller, personalisierter und nachhaltiger. Die Druckbranche hatte und hat noch ausreichend Zeit, sich darauf einzustellen. Bildquelle: Pixabay

Was unsere und alle anderen Branchen jetzt brauchen, ist eine konstruktive und also zielführende Diskussion über eine fundamentale nachhaltige Transformation: Reduktion, Konsolidierung, Dekarbonisierung – vor allem endlich weg von der zerstörerischen Wachstums-Doktrin. Hin zu einer regenerativen, erneuerbaren, dezentralisierten, nicht allein renditebasierten Form des Wirtschaftens, etwa so, wie es der Gemeinwohlökonomie-Ansatz beschreibt.

Hier ist der mentale Wandel der eigentliche Zukunftswandel. Die steigende Komplexität zwingt uns förmlich zu einem Mindshift, dazu, die Welt neu zu denken, wie es der Publizist Matthias Horx zusammenfasst.

Fachlich analysieren und souverän reagieren

Durch die Argumentation der Konzerne entsteht in der Agenturwelt, bei Marketers und Budgetentscheidern der Eindruck, Print sei im Vergleich mit digitalen Medien generell nicht mehr umwelt- und klimagerecht. Natürlich konnte das so nicht stehen bleiben. Darum verstehe ich die Aufregung in der grafischen Industrie gut. Zurecht wird kritisiert, dass Print im direkten Vergleich zu digitalen Kanälen in puncto Nachhaltigkeit in einem völlig falschen Licht erscheint.

Die undifferenzierte Berichterstattung in den Medien ist journalistisch bedenklich. So resümiert der Branchendienst Meedia: „Jedenfalls sind sich die Marketer einigermaßen einig, dass Print nicht die Zukunft gehört“. Eine Aussage, die, so allgemein formuliert, faktisch nicht stimmt, denn Prospekte, die hier vermutlich gemeint sind, bilden nur einen Bruchteil der Produkte ab, die die Druckbranche u. a. für Marketingzwecke herstellt – und auch hier gilt es die unterschiedlichsten Produkte, Formate, Periodika, Nachhaltigkeitsaspekte, Herstellungsverfahren, intelligente, adressierte und personalisierte Druckprodukte und einiges mehr zu bedenken.

Ob jedoch Headlines wie

„Obi, der scheinheilige Greenwasher“

seitens des BVDM, der u. a. auch von einer

„Obi-Werbekampagne gegen Print“

spricht, zielführend sind? Viele Branchenteilnehmer:innen zweifelten das an, zum Beispiel eine der nachhaltigsten Druckereien in der DACH-Region, oeding print – und machten das u. a. auf LinkedIn öffentlich.

Auch die Reaktion von Peter Sodoma, Geschäftsführer vom Verband Druck | Medien Österreich, hat viele irritiert, der auf LinkedIn sogar noch deutlicher wurde, so wörtlich:

„Liebe CEOs und CFOs von OBI Group Holding und REWE Group und Co.: Sagt doch bitte gleich, dass Ihr Kosten sparen müsst, aber nicht auf Eure Boni verzichten möchtet und stattdessen lieber die Printwerbung opfert.“

Peter Sodoma, Statement Obi und REWE

Peter Sodoma, Geschäftsführer vom Verband Druck | Medien Österreich, formuliert es klar und deutlich. Vielen gefällt diese Offenheit, andere stoßen sich daran. Bildquelle: Screenshot LinkedIn.

Das beeindruckt vermutlich die Mitglieder, ob das aber auch die Budgetentscheider, Marketers und Kreativagenturen überzeugt, wurde von vielen Branchenteilnehmern angezweifelt – zumal beide Unternehmen ihre Entscheidung sehr wohl auch mit dem Kostendruck in ihren Pressemeldungen erklären. Mir gefällt Sodomas Statement „Gedrucktes ist umweltschonender als elektronische Medien“ besser, obgleich die Aussagen, schon in der Headline, ohne weiterführende, konkretere Informationen schnell ins Wanken geraten könnten.

Print und Digital in puncto Klima- und Umweltschutz gegenüberstellend zu bewerten, ist ein äußerst vielschichtiger Prozess – das zeigen wir bei UmDEX immer wieder.

Doch auch Slogans wie die von Obi, etwa: „Weil der Biber Bäume zum Nagen braucht“ oder: „Weil dir Papier nicht zeigen kann, wie‘s geht“ sind desinformativ und liefern Null Mehrwert.

Die Glaubwürdigkeit steht und fällt aber vonseiten der Druckbranche mit einer Auseinandersetzung dieses Themas en détail. Generalisierte Aussagen sind nicht zielführend. Es kommt fast immer auf die Einzelbetrachtung an, so auch im Fall der strategischen Entscheidungen von Obi und REWE. Jedenfalls fährt Obi nach unserer Überzeugung keine „Kampagne gegen Print“ und REWE „opfert“ bis dato auch nicht die Printwerbung.

Beide Lager stehen sich aus meiner Sicht viel zu destruktiv gegenüber.

Und jetzt? Printagenda 2122!

Print wird auch in 100 Jahren noch wahlweise alternativlos, rücklaufstärker, multisensorischer und in vielen Szenarien exklusiver sein – mit Blick auf die verstopften digitalen Channels vermutlich sogar mehr denn je. Mit Sicherheit aber anders als heute, mit weniger, dafür aber intelligenteren Printmedien.

Wir wissen, dass Umsatz nicht gleich Gewinn ist. Ebenso ist Printauflage nicht gleich Umsatz.

Durch intelligente, gedruckte Kampagnen, auf Basis wertvoller Daten, die immer mehr Unternehmen jetzt generieren, wird Print anders bewertet werden. Kurz und grob: Die Auflagen reduzieren sich, doch die Stückpreise werden immer dann mit Sicherheit deutlich steigen.

Die Urkraft von Print

Viele Händler halten insgesamt am Druckmedium fest, wie die Umwelthilfe jüngst pauschal kritisierte – leider auch, ohne sich ausreichend mit den jeweiligen Details digitaler Medien zu beschäftigen. Andere werden jetzt also die Lücken im Briefkasten füllen. Wie u. a. das Börsenblatt berichtet, druckt der Modehändler Adler, ein Unternehmen der Logistik-Gruppe Zeitfracht, sogar erstmals seit 14 Jahren wieder Kataloge, die für 300.000 sogenannte Goldkunden bestimmt sind – produziert bei der Druckerei Hofmann, die ebenfalls zur Zeitfracht-Gruppe zählt. Andere werden folgen.

Dass der Versandhändler Otto 2018 und das Möbelhaus Ikea 2020 ihre Kataloge eingestellt haben, ist mit diesen Fällen nicht unmittelbar vergleichbar, da sie nur einmal jährlich verteilt wurden.

Der Lebensmittelmarkt ist jedoch wöchentlich hart umkämpft und nach derzeitigem Stand der Dinge werden andere Discounter, etwa Aldi oder Lidl, vorerst nicht und generell sicherlich nicht gänzlich auf gedruckte Medien in der Werbung verzichten, die meistens stärker triggern als digitale Werbung.

 

Während einige Unternehmen konsequent auf digitale Channels in der Werbung setzen, hat sich die Mode-Kette Adler nach 14 Jahren wieder für Print als Werbemedium entschieden. Bildquelle: Adler Mode

Aldi und Lidl setzen also nach wie vor auf gedruckte Werbungen. „Auch wenn die gedruckte Ausgabe sehr beliebt ist, zeigt unsere Erfahrung, dass immer mehr Kundinnen und Kunden die digitalen Angebote nutzen“, heißt es bei Aldi und Lidl zwar zaghaft, aber auf Printwerbung werde man auf absehbare Zeit nicht verzichten, berichten diverse Medien.

Die Edeka-Gruppe, Deutschlands größter Lebensmittelhändler, erklärte ebenfalls jüngst, seine Angebotswerbung zwar verstärkt auch auf digitale Kanäle verlagern zu wollen. Man wisse aber, dass viele Kunden nicht auf den gedruckten Handzettel verzichten möchten. „Und auch diese Menschen wollen wir erreichen“.

Die REWE Group ist in der Schnittmengen von Profit, seinen Stakeholdern und dem Umwelt- und Klimaschutz mit Blick auf die Nachhaltigkeit auf einem guten Weg. Das Unternehmen druckt seine Werbungen bereits ausschließlich auf Recyclingpapier oder fördert u. a. den Einkauf von Waren aus den jeweiligen Regionen.

Regionalität als generelle Blaupause für die Druckbranche?

Auch Peter Sondoma meint, man könne die zunehmend gute Ökobilanz von Papier noch deutlich verbessern, in dem man regionale Druckereien beauftragt, die möglichst nahe am jeweiligen Auslieferungsort liegen. Konstruktiv!

Jetzt geht es darum, die richtige Parität zwischen Print- und Digitalwerbung zu finden. Die Printauflagen werden sich reduzieren und auch andere Druckverfahren ins Spiel kommen.

 

Neben der Baumarktkette Obi setzt auch REWE künftig verstärkt auf seine App. In massiven Kampagnen wirbt die Handelskette für seine digitalen Dienste. Bildquelle: REWE-Holding.

Die Obi Group macht deutlich, dass Print eine Option bleibt!

Unabhängig vom Verzicht auf die Massenwurfsendungen, wurde mit dem Burda-Verlag ein neues Printprodukt vorgestellt, das in einer Auflage von über einer Million produziert werden soll. Dabei handelt es sich um ein umfassendes Kundenmagazin mit dem Titel „Alles Machbar“. Angedacht sind zwei Ausgaben pro Jahr.

Es ist doch völlig klar, dass wenn zehn oder mehr Handelsunternehmen via App um die Aufmerksamkeit potenzieller Kund:innen buhlen, solche Händler punktuell profitieren, die ihre Offerten zusätzlich mit proaktiven Trigger-Medien, also mit Print, boostern: wenn auch in kleineren, nachhaltig hergestellten, und intelligent formatierten und gescheit adressierten Auflagen.

Niemand will doch ernsthaft bestreiten, dass sich zunehmend die Sinnfrage nach unadressiert verteilten Massenwurfsendungen stellt: sowohl mit Blick auf die interaktiven Vorteile der Digitalisierung als auch auf Basis des Datenreichtums, den immer mehr große Printbuyer, wie Aldi, Lidl, Edeka, Obi, REWE und so weiter  z. B. über Apps oder Websites ansammeln.

Ich sehe unzählige Chancen, Print mit seinen intelligenten Formaten in diese Omnichannels zu integrieren

und dort als bärenstarke Werbemittel zu positionieren. Die Druckbranche muss sich strategisch jedoch stärker auf veränderte und hybride Produktionen einstellen.

Und abseits der Mammutauflagen?

Denken wir an Verpackungen, bleibt Print unantastbar. Gedruckte Bücher bleiben ein unerreichtes Geschäftsmodell, selbst für Digital-Junkies, die immer öfters wieder aus dem digitalen Space kommen und Print reaktivieren. Unzählige nachhaltige Print-Projekte vonseiten junger, umweltorientierter Agenturen, Künstler:innen und Influencer:innen betonen die Urkraft von Print, inmitten der nachhaltigen Transformation. Ein aktuelles Gespräch zwischen Sylvia Wiener von Inapa Deutschland und Urs Spengler vom Verlagshaus „Die Brueder“ im Rahmen des Hamburger Independent Publishing Festivals, betont diese Magie haptischer Medien – und begründet sie faktisch.

Mindshift! Die Zukunft liegt im Dialog

Mir gefällt der Ansatz des Fachverband Medienproduktion e. V. Durch seine Brancheninitiativen, etwa CREATURA, MediaMundo oder jüngst auch die Programmatic Print Alliance (PPC), aber auch durch das Kongressmesse-Format Print & Digital Convention wird Networking in den wichtigen thematischen Schnittmengen aktiviert und erwirtschaftet konstruktive Lösungen.

Digitales Marketing kann einiges leisten, was Print zwar nicht schafft, aber sehr gut nutzen kann. Wir dürfen diesen Prozess nicht mit

Print versus Digital,

beschreiben, sondern mit

Print und Digital!

Neben den f:mp.-Brancheninitiativen setzt auch die UmDEX-Brancheninitiative auf Dialog, im Sinne von nicht mehr, sondern intelligenter und nachhaltiger. Da spielt auch die Nutzung der zunehmend digital gesammelten Daten eine große Rolle bei der Nachhaltigkeit, neben einer zertifiziert nachhaltigen Produktion von Printmedien.

UmDEX/CREAtive

An der Seite des UmDEX/Print entsteht gerade eine Version speziell für Agenturen „UmDEX/CREAtive“, mit dem Ziel, den Dialog zwischen Auftraggebern und Auftragnehmern zu fördern. Bei Agenturen, Marketers und Budgetentscheidern fehlt oft selbst sogar ein Grundwissen über die Nachhaltige Medienproduktion, etwa über Produkt- und Unternehmenszertifikate, über Labels, Siegel, Prozesse und generell über die vielschichtigen Produktionsmöglichkeiten umweltgerechter, haptischer Medien.

Vonseiten der Printbuyer:innen wird die Wirkung von Print häufig unterschätzt und digitale Medien nicht selten reflexartig und pauschal glorifiziert. Wir werden nachweisen, wo sich Print im Marketingmix rentiert und die Paarungsbereitschaft mit den jetzt zunehmend digital gesammelten Daten im Omnichannel forcieren. Nachhaltig hergestellte Druckprodukte sind als Trigger und proaktive „Anstoßmedien“ unverzichtbar. Diskutieren wir mehr aus Sicht der Kunden. Sprechen wir über die Medienbrücken zwischen Print und Digital.

Die Digitalisierung ist ein Segen für große Teile der Druckbranche. Um eine Diskussion über den Sinn unadressiert verteilter Massenwurfsendungen (Opt-in) werden wir nicht herumkommen. Dafür ist Papier zu teuer geworden und die technischen Produktionsmöglichkeiten zu fortgeschritten.

Jens-Peter Gödde vom Kölner Institut für Handelsforschung (IFH) erklärt die Magie des guten alten Prospektes treffend emotional:

„Viele Familien lesen Prospekte z. B. samstags am Frühstückstisch. Sie werden aktiv konsumiert – und das macht sie für den Handel so wertvoll. Das ist etwas ganz anderes, als wenn man mit Fernsehwerbung, Radiospots oder Online-Bannern berieselt wird und das mehr oder weniger unwillig über sich ergehen lässt!“

 

Jürgen Zietlow

Jürgen Zietlow

Unternehmensberater für nachhaltige Kommunikation

Fachjournalist, Umwelt-Lobbyist | 2005 bis 2017 Chefredakteur Magazin MEDIEN | seit 2010 Analyst für nachhaltige Kommunikation, Social Monitoring/Media | Entwickler LineCore-Methode® (Recherche-/ Redaktionssystem).

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