Medienwirtschaft, drupa und die Folgen
Die aktuelle Corona-Krise erinnert mich an ein Spiel aus meiner Kindheit. Von jetzt auf gleich erkennen wir unser Land und unser Leben kaum noch wieder.
„Wer hat Angst vorm Sensenmann?“ „Niemand!“ „Und wenn er kommt?“ „Dann rennen wir!“
Annähernd so schnell, wie der Verlauf in diesem Spiel, scheint das Coronavirus unser aller Leben von jetzt auf gleich zu verändern.
Auch auf die Druck- und Medienbranche rollt eine Lawine von Entscheidungen und herben Verlusten zu.
Der Ausfall von quasi allen Veranstaltungen und Events, die Reduzierung des öffentlichen Lebens auf das Nötigste bringt auch für Kreativagenturen, vor allem für Druckereien, einen drastischen Einbruch der Umsätze mit sich.
Viele Verbraucher warten ab und verzögern größere Anschaffungen, aus Sorge, den Job zu verlieren und mit weniger Geld über die Runden kommen zu müssen. Darunter leidet die Konsumgüterindustrie und am Ende auch die Druckbranche. Werbesendungen werden verschoben, Katalogprojekte erstmal auf Eis gelegt und auch die Grundausstattung für Geschäftsausstattungen kann warten. Kampagnen werden gar nicht erst geplant. Alles auf Stand by. Dabei laufen die Löhne und Kosten weiter.
Politische Entscheidung zwischen Pest und Cholera
Ich möchte derzeit nicht in der Haut politischer Entscheider stecken. Nehmen wir nur die Kanzlerin. Egal, wie sich die Regierung entscheidet, gesehen auf die zwei elementaren Bereiche:
- Überleben und Gesundheit einerseits und
- der gesellschaftlich lebenswichtigen Wirtschaft andererseits:
Diese Abwägung kommt der Wahl zwischen Pest und Cholera gleich. Noch sind die wirtschaftlichen Folgen nicht irreparabel. Doch das Eis ist hauchdünn, auf denen jetzt schwere politische Entscheidungen gegen wirtschaftliche Belange transportiert werden müssen. Schulschließungen zum Beispiel oder generelle Verbote. Jede Entscheidung hat fundamentale Folgen für Millionen von Menschen.
So schnell, wie das Coronavirus (SARS-CoV-2) auf uns zukam, können auch soziale Spannungen plötzlich daherkommen, mit ebenfalls unabsehbaren Folgen.
Messe Düsseldorf verschiebt drupa 2020
So schwer, wie sich Politiker dieser Tage mit ihren Entscheidungen tun, dürfte es auch der Messe Düsseldorf gefallen sein, die Messe für 2020 abzusagen. In einer Erklärung heißt es:
„Wir mussten heute eine sehr schwere Entscheidung treffen und die drupa 2020 verschieben. Sie wird nun vom 20. bis 30. April 2021 stattfinden.
Damit folgen wir der Empfehlung des Krisenstabs der Bundesregierung, bei der Risikobewertung von Großveranstaltungen die Prinzipien des Robert Koch-Instituts zu berücksichtigen. Aufgrund dieser Empfehlung und der zuletzt deutlich gestiegenen Zahl von Infizierten mit dem neuen Coronavirus (SARS-CoV-2) auch in Europa haben wir die Lage neu bewertet. Hinzu kommt die Allgemeinverfügung der Landeshauptstadt Düsseldorf vom 11. März 2020, in der Großveranstaltungen mit mehr als 1.000 gleichzeitig anwesenden Teilnehmern generell untersagt werden.
Um der Verantwortung der Messe Düsseldorf zur Gefahrenabwehr gerecht zu werden, mussten wir in erster Linie das bei Großveranstaltungen erhöhte Infektionsrisiko minimieren. Maßnahmen zur Minderung des Übertragungsrisikos bei Großveranstaltungen, die das Robert Koch-Institut eindeutig festgelegt hat – wie zum Beispiel eine Belüftung des Veranstaltungsortes, die dem Infektionsrisiko angemessen ist, der Ausschluss von Personen aus Risikogruppen sowie die flächendeckende Einrichtung von Eingangsscreenings, waren praktisch nicht umsetzbar. Auch vergleichbare Maßnahmen waren und sind in Anbetracht der unvorhersehbaren rasanten Entwicklung und der Größenordnungen der verschiedenen Veranstaltungen von bis zu 60.000 Teilnehmern unzumutbar. Unsere Entscheidung haben wir daher in voller Verantwortung für Ihre Sicherheit getroffen. Die bereits erworbenen Tickets behalten ihre Gültigkeit.“
Mindestes 10 Billionen Euro sind verdampft
Wie brisant die Abwägung zwischen biologischer Unversehrtheit und dem wirtschaftlichen Überleben ist, zeigen schon die Talfahrten an den weltweiten Börsen. Die 10 größten Börsen der Welt sind grob 50 Billionen Euro wert. Binnen weniger Wochen sind sie wenigstens 10 Billionen Euro weniger wert. Aktionäre werden deshalb nicht gleich verhungern, doch wird es wohl fünf oder wahrscheinlich einige Jahre mehr brauchen, bis die heutigen Valuta wieder erreicht sein werden. Große Aktionäre stecken das weg. Doch waren auch viele Kleinsparer gezwungen, ihr Geld vom Bankkonto in Aktien umzuschichten. Dieser Verlust trifft also leider auch viele kleine Sparer und geht dann oft an die Substanz.
So bilden sich, wie immer in Zeiten der aggressiven, digitalen Kommunikation, im Umfeld von Influencern und Clickbaiting, schnell polarisierende Lager heraus. Die einen halten Maßnahmen zum Schutz vor dem Coronavirus immer noch für übertrieben und wünschen sich mehr Gelassenheit. Andere bekommen Atemnot, angesichts ihrer Panik, ohne selbst infiziert zu sein.
Vor diesem Hintergrund und der wie auch bei Umweltfragen wichtigen Abwägung aller Faktoren, verhält sich die Bundesregierung nach meiner Einschätzung derzeit mit dem nötigem Maß an Vernunft.
Scheinbar ist das Virus Sars-Cov-2, besonders die L-Mutation (bisher war vor allem der S-Typ bekannt), weitaus ansteckender als bisher schon vermutet und zudem in manchen Verläufen ungewöhnlich hartnäckig.
Blackout oder nur Katastrophe?
Was also tun? Die Prognose der Ausbreitung des Virus ist recht simpel und beruht auf aktuellen Fallzahlen der WHO. So wird deutlich, warum derzeit so drastische Maßnahme ergriffen werden.
Die Wucht der exponentiellen Entwicklung könnte gewaltig sein.
Derzeit rechnet die WHO mit einer Verdoppelungszeit Infizierter alle 3 bis 4 Tage. In Österreich waren es zuletzt sogar nur 2,1 Tage. Wenn man auf dieser Basis auch nur von 0,8 Neuinfizierten in 5, statt 3 bis 4 Tagen ausgeht,
dann werden sich in Deutschland bis Anfang Mai über 700.000 Menschen infizieren.
Das allein ist noch nicht der Kern des Problems. Viel schlimmer ist, dass es in Deutschland für diesen Fall wohl nicht ausreichend Intensivbetten gäbe, selbst unter der Berücksichtigung, dass etwa 81 Prozent der Infektionen milde verlaufen. Bei 12 bis 14 Prozent der Infizierten gab es bisher schwere Krankheitsverläufe. 5 bis 7 Prozent der Infizierten waren sogar sehr kritisch erkrankt, also in jedem Fall auf ein Intensivbett angewiesen.
Wenn wir nun die Zahlen der WHO und die Fallzahl 700.000 bis Anfang Mai einmal zugrunde legen und mit 7 Prozent Intensivpflegebedürftigen multiplizieren, wird deutlich, dass demnach schon im Mai circa 50.000 erkrankte Menschen Intensivpflege bräuchten. Demgegenüber stehen uns aber derzeit nur 27.000 Intensivbetten in Deutschland zur Verfügung, von denen viele schon mit Patienten belegt sind. Durch die exponentielle Wucht (vgl. Verdoppelungszeit) könnten sich diese Zahlen binnen nur weniger weiterer Tage im Mai theoretisch vervielfachen. Ein zumindest mögliches Szenario, das es heute zu vermeiden gilt!
Balance zwischen, Vorsicht, Panik und wirtschaftlichen Interessen
Reinhard Busse, Kodirektor des European Observatory on Health Systems and Policies an der Technischen Universität Berlin sagte in einer Pressekonferenz:
„Von den insgesamt 450.000 Krankenhausbetten in Deutschland stehen 100.000 derzeit leer. Daraus könnten 50.000 Isolierzimmer für einzelne COVID-19-Patienten gemacht werden. Mit zudem 27.000 Intensivbetten in Deutschland sind wir international sehr gut aufgestellt, auch in Bezug auf Beatmungsgeräte besteht erst einmal kein Mangel. Bei einer durchschnittlichen Verweildauer von einer Woche könnten die Kliniken täglich also 4.000 Intensivpatienten neu aufnehmen.“
Solche Berechnungen machen Hoffnung und Angst zugleich.
Sie zeigen aber auch, dass es jedenfalls dann keinen Grund zur Panik gibt, wenn jeder von uns seinen Teil zum Bewältigung dieser Krise beiträgt. und nicht gleich rigorose Maßnahmen fordert, die eine Stimmung erzeugen, in der sich noch mehr Menschen aus Angst erst einmal krankschreiben lassen.
Die Wirtschaft muss das überleben!
Absolut verständlich ist andererseits nämlich das Interesse der Wirtschaft: Von Veranstaltern, der Reise- Hotellerie- und Restaurantbrache, von Vereinen, Marktveranstaltern, Versandhäusern und der gesamten grafischen Industrie. Auch hier geht es um einiges. Wenn auch nicht um Leib und Leben, dann doch für viele ums nackte wirtschaftliche Überleben und damit auch um die Existenz der Menschen, die dort beschäftigt sind. Unser Wohlstand ist kein Grundrecht. Er ist die Folge einer funktionierenden, vitalen Wirtschaft. Unternehmer tragen dieser Tage eine riesige Verantwortung gegenüber ihren Belegschaften, auch Mütter und Väter, die ihre eigenen Familien versorgen oder jetzt die Betreuung ihrer Kinder organisieren müssen.
Es geht also auf der anderen Seite um die Vermeidung oder zumindest Reduzierung irreparabler Schäden, denn
die Wirtschaft wird wohl noch leiden und hinken, wenn das Virus längst schon erfolgreich besiegt ist.
Schon jetzt scheint sicher, dass es nach der Krise weit mehr Arbeitslose geben wird als davor. Die Folgen könnten einen politischen Dominoeffekt in Gang setzen, den wir uns lieber nicht vorstellen. Radikale Parteien stehen in den Startlöchern, um sich in den Chor der Panischen und Benachteiligten einzustimmen, mussten sie doch selbst nicht zwischen Pest und Cholera entscheiden.
Darum erscheint es auch angebracht, die Balance zwischen Vernunft und Wirtschaft täglich aufs Neue zu bewerten. Die hiesige Wirtschaft ist komplex strukturiert und sehr eng getaktet. Sensible Lieferketten, teils 24/7-Produktionen. Vieles ist hocheffizient und funktioniert nur mit täglichen Lieferungen bei kleinsten Langerbeständen. Reißt eine Lieferkette, trifft das möglicherweise schon die gesamte Produktion.
Besonders dem Mittelstand dürfte es nicht leicht fallen, sich entschlossen genug anzupassen. Das sehen wir täglich beim Prozess der Digitalisierung. Was nicht unbedingt muss (und selbst das häufig nicht einmal), wird dahingehend nicht unternommen. So wird die digitale Realität immer noch, teils beharrlich ignoriert. Websites sind häufig statisch und veraltet, News sind teils Jahre alt und das gesamte digitale Marketing findet einfach nicht statt. Es fehlt häufig das Verständnis dafür, welche Power das Internet als Informations- und Absatzkanal mittlerweile hat. Hier würgen viele Unternehmer ihre Geschäfte ebenfalls ab, wenn auch, verglichen mit dieser Krise, in Zeitlupe.
So sehr sich viele Unternehmer auch Normalität wünschen, so sehr sind sie in dieser speziellen Situation gezwungen, sich dem aktuellen Status zu stellen.
Auch die Messe Düsseldorf zeigte sich besonnen. Auf unsere Nachfrage schon Anfang März, teilte uns Anna Weidemann, Senior Manager Press & PR, U-DK-PR, von der Messe Düsseldorf noch mit:
„Die Landeshauptstadt Düsseldorf hat am 10. März 2020 bekanntgegeben, dem Erlass des NRW-Gesundheitsministerium zur Durchführung von Großveranstaltungen zu folgen und angesichts des Coronavirus Großveranstaltungen mit mehr als 1.000 Besuchern zu verschieben. Welche Veranstaltungen konkret betroffen sind, müsse laut der Stadt Düsseldorf nun eruiert werden. Die Messe Düsseldorf wird hier rechtzeitig in Abstimmung mit den Behörden und Partnern die Lage erneut bewerten und verantwortungsvoll entscheiden. Stand jetzt, laufen die Planungen für die drupa im Juni 2020 aber wie gewohnt.“
So wird deutlich, wie sehr auch die Messeleitung mit dieser Entscheidung gerungen hat. Die gesamtwirtschaftlichen Verluste dürften gewaltig sein: Aussteller, Zulieferer, Hoteliers, Messebauer, Werbeschaffende, Taxiunternehmer, Gastronomen und so weiter müssen teils herbe Verluste verkraften.
Kredite und Soforthilfen für Unternehmen und Selbständige
Beherzte und blitzschnell hat die Bundesregierung schon vor einigen Tagen ein umfangreiches Maßnahmenpaket für die Wirtschaft geschnürt. Zunächst lag der Fokus auf der Finanzierung von Kurzarbeit. Schon heute hat die Bundesregierung dann nochmals weitere,
erhebliche und ungewöhnlich umfangreiche Maßnahmen zur Stützung der deutschen Wirtschaft beschlossen,
um die teils empfindlich getroffene Unternehmen vor dem Untergang zu retten, so auch Druck- und Mediendienstleister.
Unbegrenzte Kredite für die deutsche Wirtschaft
Wirtschaftsminister Peter Altmaier und Finanzminister Olaf Scholz haben
quasi unbegrenzte Kredite
zugesichert. Zunächst stehen dafür 20 Milliarden Euro bereit. Nach Bedarf, so erklären die Minister, kann das Paket unbegrenzt erweitert werden.
Finanzminister Schultz sagte heute wörtlich: „Wir haben gesagt, das soll unbegrenzt sein.“ Die Bundesregierung taste sich nicht langsam heran, sondern sage von vornherein jede Hilfe zu. „Wir legen alle Waffen auf den Tisch.“
Weitere Informationen zur Förderung stell das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie auf seiner Website bereit.
Jürgen Zietlow
Unternehmensberater für nachhaltige Kommunikation
Fachjournalist, Umwelt-Lobbyist | 2005 bis 2017 Chefredakteur Magazin MEDIEN | seit 2010 Analyst für nachhaltige Kommunikation, Social Monitoring/Media | Entwickler LineCore-Methode® (Recherche-/ Redaktionssystem).
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