Selfiecide – der letzte Schuss
Die Lust auf ein perfektes Bild oder ein Selfie nimmt gelegentlich bizarre Züge an. Egal, ob von Berufs wegen oder aus reiner Lust am Lob der Community: Die Ergebnisse einer Studie sind kaum zu glauben. Mittlerweile gibt es sogar ein Buzzword für Todesfälle beim Fotografieren mit Smartphones: Selfiecide.
Was wir nicht alles tun, um in den sozialen Medien aufzufallen. Da wird teils viel Zeit investiert, um Shares und Likes, kurz: Aufmerksamkeit zu ernten. Um herauszufinden, wie viele Menschen beim Knipsen eines Motives zu Tode kamen, das meistens noch nicht einmal aus beruflichen Gründen entstanden ist, haben indische Forscher zwischen 2011 und 2017 englischsprachige Medien untersucht.
Traurig, aber wahr, dass Selfies für immer mehr Menschen zur Bedrohung werden. Um ein perfektes Foto z. B. für Instagram zu posten, riskieren viele sogar bewusst und fahrlässig ihr Leben, z. B. im Umfeld der See Cliff Bridge, wo es immer wieder zu Unfällen mit teilweise tödlichen Folgen kommt – trotz aller Warnungen.
Insgesamt konnten die Forscher 259 Todesfälle von Fotografierenden ermitteln,
die beim Versuch, ein Selfie zu bannen auf teils tragische Weise umgekommen sind. Schwere Verletzungen oder sonstige Leiden sind hierbei noch gar nicht berücksichtigt:
- Die meisten Todesfälle (159 Tote) gab es in Indien, gefolgt von
- 16 Todesfällen in Russland,
- 14 Tote in den USA und
- 11 in Pakistan
Da wurden Menschen von Wellen erfasst und davongespült, von Zügen überrollt oder verloren den Halt und stürzen in die Tiefe.
Risiken und tödliche Folgen
beim Fotografieren: Selfiecide
Etwa dreiviertel der Verstorbenen waren Männer. Die größten Risiken scheinen der Studie nach 20- bis 29-jährige einzugehen, gefolgt von 10- bis 19-jährigen. Die häufigsten Gründe waren:
- Ertrinken, z. B., da die Personen von Bord eines Schiffes fielen sowie
- Stürze oder Verbrennungen.
Selfies sind zu einem gesellschaftlichen Phänomen geworden. Die Lust auf Anerkennung ist ein Elixier, sozusagen der Urschleim in den sozialen Medien. Sogar ein Wort gibt es bereits, für Todesfälle beim Fotografieren mit dem Smartphone: Selficide. Immer wieder wird auch in den Medien über skurrile Todesfälle berichtet:
- Ein Pärchen stürzte 40 Meter in die Tiefe, während es ein Selfie machen wollte,
- in Indien wollte ein Taxifahrer einen verletzten Bären fotografieren und wurde tödlich angegriffen und z. B.
- ein Russe wollte ein Selfie mit einer Handgranate schießen, zog versehentlich den Sicherungspin und sprengte sich in die Luft.
Da in der Studie nur englischsprachige Medien untersucht wurden, ist davon auszugehen, dass die tatsächlichen Todesfälle durch Selfies weltweit in die Tausende gehen. Doch schon diese Zahlen sind erschütternd genug.
Berufsfotografen
Auf den ersten Blick ließe sich argumentieren, dass berufsmäßige Fotografen im Gegensatz z. B. zu Bloggern für gewisse Risiken wenigstens vernünftig honoriert würden, denken wir nur an Kriegsberichterstattungen oder an Kamerateams, die sich im Umfeld von Naturkatastrophen immer wieder in Gefahr begeben.
Die Grenze zwischen Privat- und Berufsfotografie ist fließend
Doch so einfach ist das nicht, denn die Trennung zwischen Berufsfotografen und solchen die vielleicht weniger offiziell, aber dennoch von Berufs wegen fotografieren ist ebenso fließend, wie zwischen Bloggern und traditionellen Medien. Bedenken wir, dass einige Blogger und Influencer selbst bereits Hunderttausende, manchmal sogar Millionen von Followern haben und den klassischen Medien häufig in Sachen Reichweite sogar voraus sind.
Damit einher geht der Zwang, seiner Community nicht nur ständig etwas Neues zu servieren, sondern möglichst auch etwas Einzigartiges. Professionelle Fotografen, die mit einer hochwertigen technischen Ausrüstung arbeiten, sind jedoch häufig ebenso schlecht für extreme Situationen und Gefährdungen ausgebildet wie semiprofessionelle, denen ein Smartphone für den Schnappschuss genügt.
Die Lust auf Anerkennung
„Niemand, der bei Facebook arbeitet, darf darüber sprechen. Antonio Martínez tut es doch“, zitiert zeit.de einen Top-Manager von Facebook in einen Fachbeitrag über Facebook mit dem Titel:
„Facebook ist legales Crack“
Das Interview will klären, wie es eigentlich ist, bei Facebook, Google oder Apple zu arbeiten. Neben großen Portraits von Mark Zuckerberg und Co. trauen sich die meisten Angestellten aus Sorge vor Millionenklagen nicht, sich zu äußern. Demnach lauten die wichtigsten internen Leitsätze:
- Bewirke was,
- sei schnell und
- zerbrich Sachen.
- Besser getan, als perfekt und
- überfordere Dich.
Ebendiese Mentalität macht sich auch bei den Usern in den sozialen Medien breit. Alles geben! Bis zur totalen Erschöpfung und manchmal leider sogar bis in den Tot.
Viele Topmanager wie García Martínez, haben Konzerne wie Facebook aus Gewissensgründen verlassen: Einige haben sich sogar bei der Community entschuldigt. Dafür, dass Eigenschaften wie Eitelkeit, Ruhmsucht, Missgunst und eine starke Abhängigkeit subtil verstärkt werden, vor allem aber für die verlorene Lebenszeit. Die Sucht nach Anerkennung bzw. der Zwang, immer wieder Aufmerksamkeit zu erzielen, ist wesentlich für die beschriebene Risikobereitschaft.
Interessant auch, was der Facebook-Manager García Martínez über seine Kinder sagt, schon, da es an die Aussage der Apple-Ikone Steve Jobs erinnert, der seinen eigenen Kindern strikt verbot, Smartphones zu benutzen. Martínez sagt:
„Was die Zukunft meiner Kinder angeht: Ich werde sie nicht auf Facebook lassen.
Ich werde versuchen, sie von der Technologie abzuschirmen. Ich werde sie davor schützen, soweit ich es kann. Sie sollen in der Realität einer kleinen Gemeinschaft aufwachsen, nicht in einer Simulation dieser.“