Neuromarketing: Der unlogische Konsument (Teil 2/6)
Als Autoren, Blogger, Journalisten und Content-Manager beschäftigen wir uns täglich mit Medien und Inhalten. Form und Formate von Inhalten sowie die Verbreitung ändern sich rapide. Damit auch das Verhalten der Empfänger.
Ohne Inhalte ergeben Medien keinen Sinn und Inhalte (Content) brauchen Medien als Träger.
Auch Werbebotschaften basieren auf Inhalten, die entweder von digitalen oder gedruckten Medien getragen, sprich verteilt oder verbreitet werden.
Die Qualitäten von Medien und Inhalten variieren stark – von Discount bis Premium.
Immer wieder vergleichen wir Discount- mit Premiumangebote von digitalen und haptischen Medien und auch die Qualitätsunterschiede von Inhalten (Content).
Mit dieser Serie „Neuromarketing. Der unlogische Konsument“, zitiere ich verschiedene wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse aus dem Neuromarketing. Die Verbindung zwischen Fakten aus der Gehirnforschung und Marketingtrends wie Content-Marketing (Content-Panik), Digitalisierung, Automatisierungen, Medienkonvergenz etc., ermöglicht neue Perspektiven auf das Thema.
Sicher ist, dass Emotionen anstelle von Logik und Fakten auch beim Kauf von Medien und Content (Inhalten) maßgeblich sind. Unklar ist, wie weit Marketingprozesse dahingehend tatsächlich digitalisiert und automatisiert werden können.
Dies ist der zweite von insgesamt sechs Teilen. Die weiteren Teile:
- Teil 1, 25.04.2018
- Teil 2, 26.04.2018 (dieser Teil)
- Teil 3, 27.04.2018
- Teil 4 von 6, 30.04.2018
- Teil 5 von 6, 02.05.2018
- Teil 6 von 6, 04.05.2018
01. „Menschen sind willensschwach“. Homo eoeconomicus
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) hat zusammengefasst, warum der sogenannte Homo oekonomicus, der rational denkende und egoistisch agierende Mensch nicht existiert, so sehr sich viele Menschen, die Homo sapiens, auch wünschen mögen, so kühl und rational zu funktionieren wie eine Maschine und ihr Algorithmus.
Homo oeconomicus? Menschen sind irrational und willensschwach.
Unser Handeln basiert demnach nicht hauptsächlich auf Fakten. Wir handeln rein algorithmisch gesehen irrational, was eine Erklärung dafür liefert, warum wir selbst dann Discount-Medien oder Discount-Content einkaufen, wenn faktisch bewiesen ist, dass die Nachteile in Bezug auf die Wirkung (Response) im Vergleich zu hochwertigeren Produkten oder Dienstleistungen immens sind.
In der Bad-Boy-Mentalität dieser Zeit, ist das algorithmisch Böse, wie schon in meiner satirischen Kolumne beschrieben, durchaus anziehend – und war es im Grunde schon immer. Im Umfeld von Stechschritt und „anziehend“ bösen Front-Designs vieler Luxus-Karossen, bleibt der Mensch nach wissenschaftlichen Erkenntnissen ein „Weichei“, um es in den Worten des berühmten Psychologen Solomon Asch zu sagen.
Menschen „… machen permanent Fehler bei der Informationsaufnahme und -verarbeitung, sie sind willensschwach und emotional, und sie sind bei weitem nicht so egoistisch, wie es uns die Ökonomen glauben machen wollen“, zitiert FAZ den Psychologen Daniel Kahneman, der den Nobelpreis für seine langjährige, dahingehende Forschungsarbeit erhielt.
Diese und viele weitere Fakten zeigen uns auch die Grenzen von Data-Mining und Marketing-Digitalisierung auf.
02. Gewissensbisse: Kognitive Dissonanz
Kognitive Dissonanz: Die alltäglichen Gewissensbisse und ihre Folge im Marketing. Bild: GPG
Das Gabler Wirtschaftslexikon, namentlich Prof. Dr. Manfred Kirchgeorg, erklärt diesen marketingrelevanten Begriff so:
„Kognitionen sind Erkenntnisse des Individuums über die Realität. Einzelne Kognitionen können in einer Beziehung zueinanderstehen. Kognitive Dissonanz entsteht, wenn zwei zugleich bei einer Person bestehende Kognitionen einander widersprechen oder ausschließen. Das Erleben dieser Dissonanz führt zum Bestreben der Person, diesen Spannungszustand aufzuheben, indem eine Umgebung aufgesucht wird, in der sich die Dissonanz verringert oder selektiv Informationen gesucht werden, die die Dissonanz aufheben.“
Konkret sind viele alltägliche Irritationen gemeint. Beispielsweise einen großen SUV zu fahren oder in den Urlaub fliegen und dafür CO2-Ablass zu zahlen. Oder Fleisch zu essen, aber Mitleid mit den Tieren zu haben. Sich gegen Krieg auszusprechen, aber gerne durch den Reichtum der eigenen Gesellschaft zu profitieren, der zum Teil auch auf der systematischen Ausbeutung von Rohstoffen von Drittwelt-Ländern basiert. Oder wir kaufen einen neuen Kühlschrank, nicht selten aus Lust am Konsum, ohne die CO2-Bilanz der Herstellung zu berücksichtigen.
Wenn sich Böcke selber
zu Gärtnern ernennen
Beim Kauf von Medien oder Inhalten (Content) für werbliche Zwecke, bedeutet das gerade dann, wenn Ergebnisse (Rückläufer, Reaktionen) elementar wichtig sind: Wissen, dass hochwertig formatierte Medien signifikant besser performen und trotzdem zum Discountangebot greifen.
Hier greifen viele Phänomene, denken wir nur an das psychologisch erforschte Kuriosum der Verlust-Aversion, auf die ich in den folgenden Teilen zu sprechen komme.
Marketers, die um die Macht der Psyche wissen und Erkenntnisse des Neuromarketing professionell ins täglich Marketing transformieren, verstehen es, diese Versuche von Konsumenten, Kunden oder Geschäftspartnern, die eigenen Gewissensbisse zu verringern, zu nutzen.
Unser ständiges Bestreben, Dissonanzen, also diesen Spannungszustand (Gewissensbisse) aufzuheben, wird durch die Industrie selber durch eine Umgebung erleichtert, die den Anschein erweckt, diesen quälenden Disput verringern zu können. Uns wird eine Matrix geboten, in der wir uns wohl fühlen.
Typische Beispiele liefern viele NGOs, die als wirtschaftliche Konstrukte mit dem Ziel gegründet wurden, unsere Dissonanzen zu verringern und sei es auch nur illusorisch. Das Kleeblatt oder der Panda, aber auch ein freundlicher ökologischer Fußabdruck für den schweren Geländewagen, sind Illusionen, denen wir uns gerne hingeben.
Die Auflösung der Dissonanz per Automation
Ein faktisch korrekt konfigurierter CO2-Rechner teilt uns wahrhaft mit, in welcher Weise wir der Umwelt schaden. Solche Apparate bieten uns so direkt wie kaum ein anderer Mechanismus im Marketing die Möglichkeit, für die berechneten, entstehenden Schäden sogleich Buße zu tun und Ablass zu zahlen.
Auch das ist natürlich eine Form der Manipulation, was in Verbindung mit Marketing häufig viel weniger böse gemeint ist, als das Wort klingt. Wir alle betreiben tagtäglich und höchstpersönlich Marketing. Meistens unbewusst.
Natürlich ist der Eingang auf ein solchen Ablasshandel immer noch besser, als gar nichts zu tun. Trotzdem fühlt es sich etwas so an, als dürfte ich jemandem mit der Keule umhauen und ihm sodann (und bereits im Voraus) mitteilen, dass ich seinen Krankenhausaufenthalt bereits bezahlt habe – und ihm alles gute wünschen.
Die Frage bleibt offen, ob es nicht besser gewesen wäre, auf den großen Geländewagen zu verzichten.
Ausnahmslos jeder von uns quält sich mit diesen Dissonanzen herum, tagtäglich.
Lesen Sie im nächsten Teil (27. April) warum Menschen nicht rationale Prozesskomponenten sind und die Verlustangst größer ist als die Freude am Gewinn.
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